Gestern wollte die Leitung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg – eins, zwei, drei im Sauseschritt! – beschließen, daß
die Studiengänge Gräzistik, Latinistik, Indologie, Japanologie, Sprache und Kultur Südasiens, Mittel- und Neulateinische Philologie, Archäologie des Vorderorients, Land- und Umwelttechnik und Landeskulturen und Kulturtechniken sowie das Institut für Altertumswissenschaft und das für Sportwissenschaft für immer geschlossen werden.
Das sollte – anders kann man es nicht ausdrücken – ein Gemetzel werden, wie man es in dieser Brutalität noch nicht erlebt hat. Abgeschafft werden fast nur kleine und mittlere geisteswissenschaftliche Fächer, die nicht über Drittmittel finanziert werden und sich nicht „rentieren“. Latein und Altgriechisch? Weg damit! Neulateinische Philologie? Wer braucht denn so etwas! Japanologie und die Kultur Südasiens? Wir sind hier in Sachsen-Anhalt, meine Herren, das Geld ist knapp und Japan ist weit!
In Halle, so hatte es das Rektorat vor, sollte alles entsorgt werden, was nicht große Studentenmassen (und Drittmittel von der Wirtschaft) anlockt. Es ist der blanke Hohn, wenn die Universität auf ihrer Internetseite mit dem Motto
Schafft Wissen. Seit 1502
wirbt. Was nämlich nach dem Kahlschlag noch bliebe, wären Fächer, die man auch an jeder anderen Universität studieren kann. Aber gerade das, was Wittenberg-Halle „seit 1502“ auszeichnet, soll jetzt wie Unkraut ausgerottet werden. Hier, schreibt Simon Strauss in der F.A.Z.,
wo Friedrich August Wolf die Altertumswissenschaft als Disziplin erfand, hier, wo August Boeckh studierte und Carl Robert eine einmalige Forschungsbibliothek hinterließ, soll die Altertumswissenschaft dichtgemacht werden?
Was natürlich vom Rektorat nicht angerührt wird, sind die Gender Studies, für solcherlei Pseudowissenschaft ist auch in Halle genug Geld da (hier nachzulesen):
Zertifikat Gender Studies
Zusatzqualifikation als Zulassungsvoraussetzung für viele konsekutive Masterstudiengänge in den Gender und Queer Studies
Strukturelle Verankerung von Gender und Queer Studies in der Hochschullehre
Sichtbarmachung der Genderforschung und -lehre
Förderung von Inter- und Transdisziplinarität
Motivation für Studierende, sich mit Themen der Gender und Queer Studies auseinanderzusetzen
Relevanz für den Berufseinstieg und fachübergreifende Kompetenzen
Netzwerk unter Lehrenden in den Gender Studies an der Martin-Luther-Universität
Etablierung eines akademischen Ortes innerhalb der Universität, an dem diverse Fachrichtungen und Bildungsverläufe zusammenkommen können.
Rektor ist übrigens seit 2018 Christian Tietje, ein Jurist mit Schwerpunkt Wirtschaftsrecht. Weitere Mitglieder des Rektorats sind der Physiker Wolfgang Paul, Wolf Zimmermann vom Institut für Informatik, Johanna Mierendorff, Inhaberin einer Professur für Sozialpädagogik, und der Jurist Markus Leber. Schon an dieser Zusammensetzung sieht man, daß die Geisteswissenschaften in Halle nicht mehr viel zu melden haben.
Trotzdem ist die „Profilschärfung durch Selbstverstümmelung“ gestern im Senat erst einmal gescheitert. Einen wesentlichen Anteil daran hatten zwei Artikel im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die den dreisten Plan des Rektorats kurz vor der Entscheidung ans Licht brachten. Auch die Landesregierung sprach von „irritierenden“ Inhalten. Jetzt wurde der Plan, der in aller Eile durch die Gremien gepeitscht werden sollte, zu einer bloßen „Diskussionsgrundlage“ zurückgestuft.
Man sollte sich aber nicht zu früh freuen. Das Rektorat duckt sich jetzt nur weg, weil der öffentliche Aufschrei zu groß war. Tietje und Kollegen werden ihre Ziele weiterverfolgen. Man sollte ihnen für den Sommer ein paar Leseempfehlungen geben – nein, kein Reiseführer durch Bologna, aber wie wäre es mit Wilhelm von Humboldt? Da fänden sie Sätze wie diese:
Jeder ist offenbar nur dann guter Handwerker, Kaufmann, Soldat und Geschäftsmann, wenn er an sich und ohne Hinsicht auf seinen besonderen Beruf ein guter, anständiger, seinem Stande nach aufgeklärter Mensch und Bürger ist.
Gibt ihm der Schulunterricht, was hierfür erforderlich ist, so erwirbt er die besondere Fähigkeit seines Berufs nachher sehr leicht und behält immer die Freiheit, wie im Leben so oft geschieht, von einem zum anderen überzugehen.