Kultur als „Kitt“ und „Schmiermittel“ der Gesellschaft? Ein kleines Loblied auf den Bildungsbürger

Neulich las ich in einem Interview der F.A.Z. mit Joachim Knuth den folgenden Satz aus dem Munde des NDR-Intendanten:

Kultur ist ein wichtiger Kitt unserer demokratischen und aufgeklärten Gesellschaft.

Da denkt man unwillkürlich an das Jahr 2013 zurück, als der Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) in einem Thesenpapier (hier nachzulesen) einen Satz niederschrieb, der (jedenfalls außerhalb des linken Lagers) zurecht einen Sturm der Entrüstung auslöste. Kulturpolitik, so schrieb Feldmann damals, sei umso erfolgreicher, je mehr sie sich

als Bildungsaufgabe und Schmiermittel sozialer Infrastruktur, Wirtschaftsförderer und Integrationsmotor, Stadtentwicklungsprogramm und Präventionsstelle versteht.

Die Kultur (oder besser: das, was Feldmann dafür hält) hat also die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß alles wie geschmiert läuft – selbst Wirtschaftsförderung und Stadtentwicklung. Was ist das für eine armselige Vorstellung von Kultur! Was für ein niedriger Platz im Leben wird ihr da zugewiesen, wie klein wird sie da gemacht! Dabei kann ein einziges Buch das ganze Leben eines Menschen verändern, Musik kann ihn zu einem anderen, einen besseren Menschen machen. Kultur kann zu einer Gewalt werden, vor der Diktatoren zittern. Im selben Jahr, als der Frankfurter Oberbürgermeister sein Thesenpapier verfaßte, verzichtete der Dresdner Kreuzchor darauf, auf seiner China-Tournee das deutsche Volkslied „Die Gedanken sind frei“ zu singen, jenes Lied, das Sophie Scholl im August 1942 an der Gefängnismauer für ihren inhaftierten Vater spielte.

Die früher einmal linksliberale Frankfurter Rundschau, die heute kaum noch von der taz zu unterscheiden ist, ging auch drei Jahre danach noch einmal in mehreren Artikeln auf Feldmanns Bemerkung ein. In ihrem Blog veröffentlichte sie 2016 einen Leserbrief „in voller Länge“. Er trägt den Titel „Tiefe Kränkung des sich selbst feiernden Bildungsbürgertums“, und seine Kernaussage lautet:

Fast scheint es, als könnten die selbsternannten kulturellen Eliten der Frankfurter Stadtgesellschaft nicht ertragen, dass einer, ausgerechnet der OB, sich bewusst exkludiert und deutlich macht, in dieser Stadt gibt es auch noch anderes zu tun. Wie tief muss diese Kränkung im sich selbst feiernden Bildungsbürgertum sitzen, wenn man immer wieder auf die gleiche Stelle prügelt.

Das liest man, und man weiß nicht, ob man lachen oder weinen soll. Die tiefe Verachtung für die „selbsternannten kulturellen Eliten“ und das „sich selbst feiernde Bildungsbürgertum“ – wo kommt diese Verachtung her? Und gerade in Frankfurt? Diese Stadt kann wie wenige andere Großstädte stolz sein auf ihre bürgerlichen Eliten, die fast alles aus eigener Kraft geschaffen haben. Zoo, Palmengarten, Oper, selbst die 1914 gegründete Universität – sie alle gehen auf bürgerliche Stiftungen zurück. Und welche Stadt hat bis in die Gegenwart hinein so viele Mäzene gehabt wie Frankfurt? Viele von ihnen waren jüdische Mitbürger, und die meisten haben, anders als heutige „Sponsoren“, kein Aufhebens von ihren guten Taten gemacht. Und welche andere Stadt hat einen Mann wie Hilmar Hoffmann in ihren Reihen gehabt? Man könnte die Reihe endlos weiterführen.

Wer soll denn die Kultur an die nächste Generation weitergeben, wenn nicht die Bildungsbürger? Es stimmt, manche von ihnen haben einen nicht ganz so weiten Horizont, manches, was sie sagen, mag auch ein bißchen angestaubt klingen. Und doch sind es immer und überall diese Bildungsbürger, die dafür sorgen, daß auch die Angehörigen der nächsten Generation noch Bücher lesen, ins Theater gehen, Museen besuchen und in der Musikschule ein Instrument lernen.

Sie allein sind es, die am Ende dafür sorgen, daß die Flamme der Kultur nicht erlischt.

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