Der Sprachfeminismus schießt sich auf immer neue Ziele ein. Eines der düstersten Kapitel war schon vor vielen Jahren die „Bibel in gerechter Sprache“, die mit größter Unverfrorenheit den alten Text in das Prokrustesbett des Feminismus zwang („Jüngerinnen und Jünger“) und gar noch dafür sorgte, daß die linke Philosophie der Gegenwart rückwirkend Eingang in die Bibel fand: die „Unterdrückungsbedingungen“ und „Gewaltstrukturen“ des Römischen Reiches, die in den bisherigen Übersetzungen immer verharmlost worden seien, sollten nun klar herausgearbeitet werden. Das Ganze ist eine grandiose Textverfälschung, in der die Ideologien des 21. Jahrhunderts den biblischen Büchern einfach übergestülpt wurden.
Jetzt versuchen auch katholische Frauenverbände, ihrer Kirche den feministischen Ungeist aufzuzwingen. Am Sonntag wird Papst Franziskus den Text seiner neuen Enzyklika veröffentlichen, die nach alter Tradition mit ihren beiden ersten Wörtern zitiert wird. „Fratelli tutti“ soll sie heißen, auf deutsch „alle Brüder“. Aber wo sind die Schwestern? Es ist ein Zitat von Franz von Assisi, und sofort regt sich der Widerstand der Feministinnen, genauer: des Catholic Women’s Council. Dieses Netzwerk wurde, wie man hier nachlesen kann,
im November 2019 von katholischen Frauen im deutschsprachigen Raum gegründet. Das Netzwerk will Reformen in der Kirche voranbringen und setzt sich für eine vollständige Gleichberechtigung von Frauen und Männern ein.
Warum die „Frauen aus dem deutschsprachigen Raum“ sich so einen Namen gegeben haben, lassen wir einmal beiseite. Sie haben jetzt dem Papst einen Brief geschrieben, in dem sie ihn drängen, den Namen der Enzyklika zu ändern. Dieser Titel, schreiben sie an den „sehr geehrten Papst“, stelle
ein Problem für viele dar, die ansonsten begeistert von der Enzyklika sind und bereit wären, mit Ihnen an einer dauerhaften sozialen, spirituellen und nachhaltigen Veränderung zu arbeiten.
Seltsam! Da sind also Menschen begeistert von einer Enzyklika, die sie noch gar nicht gelesen haben. Wie geht das? Aber die Enzyklika, das merkt man schnell, ist ihnen herzlich gleichgültig, es geht ihnen nur um die feministische Herrschaft über die Sprache. Da schrecken die unfrommen Katholikinnen nicht einmal davor zurück, den Papst – nachdem sie ihm ordentlich Honig ums Maul geschmiert haben – zu einer Umformulierung seiner Enzyklika zu drängen.
Im Sinne des Evangeliums und der von Jesus Christus gelebten Gerechtigkeit, wäre es ein kraftvolles Zeichen von Ihnen, wenn Sie diese Änderung vornehmen würden.
Eine wachsende Zahl von Katholikinnen und Katholiken sei
„besorgt wegen des Titels für die Enzyklika“. Es sei zwar bekannt, dass der Titel ein Zitat des Heiligen Franziskus sei und alle Menschen damit gemeint seien. „Trotzdem wird das männliche Substantiv viele vor den Kopf stoßen“, heißt es weiter. „In einer Zeit, in der das Bewusstsein für die Macht von Sprache wächst, akzeptieren viele Frauen die Begründung nicht mehr, dass die männliche Form ‚Fratelli‘ verallgemeinernd sei und sie mitgemeint seien.“
Ich bin sicher, daß sich „die Macht von Sprache“ am Ende auch gegen die spätfeministischen Sprachzerstörer durchsetzen wird, aber offenbar ist der Tiefpunkt noch nicht erreicht. Wenn etwa in den USA die großen Werke der Weltliteratur zensiert, verstümmelt oder gleicht in den Giftschrank verbannt werden, weil in ihnen unliebsame Wörter (wie „Nigger“ in Mark Twains Huckleberry Finn) auftauchen, dann darf man sich nicht wundern, daß sich auch in Deutschland Fundamentalistinnen das Recht anmaßen, das Werk des heiligen Franz von Assisi zu zensieren, weil ein „männliches Substantiv“ sie vor den Kopf stößt. Ein literarischer Text, das sollte man diesen Damen einmal sagen, hat etwas Sakrosanktes, Heiliges. Niemand muß ihn mögen, man darf ihn sogar abscheulich finden, und es wird ja auch niemand gezwungen, ihn überhaupt zu lesen. Aber niemand – ich wiederhole: NIEMAND! – hat das Recht, einen Text nachträglich zu ändern, weil ihm eine Stelle nicht in den (ideologischen) Kram paßt. Generationen von Philologen arbeiten seit mindestens zwei Jahrhunderten mit akribischer Sorgfalt und kriminalistischem Spürsinn an solchen Werken, um Wort für Wort, Buchstabe um Buchstabe daraufhin zu untersuchen, ob sie vom Autor stammen oder nachträglich verändert wurden. Sie machen das aus Respekt vor dem literarischen Text, der für sie (und für jeden gebildeten Menschen) sakrosankt ist. Wo kämen wir hin, wenn Hinz und Kunz ihn verändern dürften?
Genau das haben aber die (frommen?) Aktivistinnen vom „Council“ im Sinn. Sie wollen einen alten Text aus niedrigen (nämlich politisch-ideologischen) Beweggründen verfälschen und sogar den Papst zu ihrem Komplizen machen.
Unterschrieben ist der Offene Brief übrigens unter anderem von der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd), dem Katholischen Deutschen Frauenbund (KDFB) und „Maria 2.0“.
Maria 2.0? Da muß ich gestehen, daß mir Jesus 1.0 mehr am Herzen liegt.