Seit gestern nachmittag wird Aykut Anhan, der sich als Rapper den irgendwie passenden Künstlernamen „Haftbefehl“ gegeben hat, im Klinikum Darmstadt wegen einer Schußwunde am Bein behandelt. Die Wunde soll er sich, wie die Polizei heute mitteilte, nach einem Besuch im Frankfurter Bahnhofsviertel selbst zugefügt haben – aus Versehen, vielleicht im Rausch. Kann ja mal vorkommen.
Nun ist Anhan nicht irgendwer, sondern, wenn man seinen Anhängern glauben will, einer der bedeutenden Söhne der Stadt Offenbach und der „bekannteste Offenbacher der letzten 30 Jahre“. Deshalb soll jetzt eine große Straße in Offenbach nach ihm benannt werden. Sie heißt jetzt noch Bismarckstraße – aber das geht gar nicht.
Hören wir, was ein „Offenbacher Aktivist“ und „Student für Stadtgeographie“ namens Felix Sauer (er ist der Initiator der Petition zur Umbenennung) nach langjähriger, gründlicher Recherche im Internet über den Reichskanzler herausgefunden hat (hier nachzulesen):
Otto von Bismarck hat mit der von ihm 1884/1885 in Berlin organisierten Kongokonferenz die Kolonisierung Afrikas organisiert und ist damit für das Leid und die Ermordung von Millionen von Menschen (mit)verantwortlich. Auch außerhalb dieser Konferenz war er ein Kriegstreiber.
Das war’s schon? Ja, das ist alles, was er zu Bismarck herausgefunden hat. Nur noch ein paar Links am Ende, sonst nichts. So schreibt also einer, der von der Stadt Offenbach eine „gute Geschichtsschreibung“ einfordert – was immer das heißen mag.
Da möchte man schon wissen, welcher Geschichtslehrer ihm dabei geholfen hat, sich die Studienreife zu verschaffen.
Ich hoffe ja, daß Sauer nicht repräsentativ für seine Generation ist, aber wenn ich mir so ansehe, wie viele seiner Altersgenossen ein unkritisches Herumklicken im Internet für „Recherche“ halten (Rezo!), dann mag ich mir lieber nicht vorstellen, wie es heutzutage in den Proseminaren der Geisteswissenschaften zugeht. Zu meiner Zeit hat man am Beginn eines Studiums als erstes das wissenschaftliche Arbeiten gründlich eingeübt, und darin kann man gar nicht streng genug sein. Die Gewissenhaftigkeit beim Arbeiten gehört zum Ethos der Wissenschaft. Wer dieses Arbeiten von der Pike auf gelernt hat, wird später kaum in Versuchung geraten, ein zusammengeschludertes Sammelsurium aus dem Internet für eine wissenschaftliche Arbeit zu halten.
Aber noch einmal kurz zurück zum berühmten Offenbacher Rapper. Im Kommentarteil der Petition können sich die „User“ über die Umbenennung äußern, und sie tun es auch mit der im Internet üblichen Eloquenz. Ein paar Beispiele:
Wer war Bismarck? Und wieso sollte diese Stadt eine Straße nach einem längst verstorbenen Menschen benennen, der die Kolonialisierung vorangetrieben hat?
Haftbefehl ist ein wichtiger Bildungscharakter für viele Heranwachsende und hat gute Inhalte in seinen Texten.
Weil Haftbefehl geil ist.
Ich halte es für sinnvoll den Namen Bismarcks aufgrund seiner Verfehlungen seinerzeit nicht länger zu glorifizieren.
Haftbefehl ist ein wichtiger Teil der deutschen Kunsthistorie.
Weil Bismark ein unehrenhafter Mann war den man Heutzutage nicht mehr in Form einer Straßenbenennung ehren sollte.
Bismarck ist ein kolonialisierer, das sind werte die in der kulturreichen stadt offenbach NICHT akzeptiert werden.
Bismarck ist ein rassistischer Kolonisator, Haftbefehl der legitime Nachfolger von Goethe und Schiller.
Da die vorherige Person [gemeint ist Bismarck] menschrechtserniedrigend handelte und als geschichststrächtig angesehen wird.
Haftbefehl ist mein Lebenssinn ohne ihn wäre ich schon längst an Suizid gestorben.
Das auch ein Rapper wie Haftbefehl ein Mann der viele Kulturen zusammenbringt auch etwas für die Ewigkeit bekommt.
Und zum Schluß noch ein etwas rätselhafter Kommentar:
Negatives was in der Vergangenheit war soll angeschafft werden. Sowie zu grausamen Gedanken führt.