Drei schwarze Frauen

Der Hessische Rundfunk war schon immer ein bißchen fortschrittlicher als andere Sender. Wenn die Volksseele nach Gerechtigkeit dürstet (Klimarettung! Nachhaltigkeit! Kampf gegen Rassismus! Keine Tiere essen!), dann ist der HR immer ganz vorn dabei. So auch vor ein paar Tagen.

Folgende Szene:

Man sieht zwei junge Frauen, die im Kasseler Bergpark spazierengehen. Aber sie wollen sich da nicht nur „ergehen“ (kennt das Wort noch jemand?), nein: „sie gehen dort spazieren, wo Ende des 18. Jahrhunderts schwarze Menschen arbeiteten“. Schon bei dieser Stimme aus dem Off gruselt es alle Hessinnen und Hessen ein bißchen. Welche furchtbaren Wahrheiten werden jetzt aufgedeckt?

Im 18. Jahrhundert, genauer: in den Jahren von 1782 bis 1785, ließ der Landgraf von Hessen-Kassel, Friedrich II., hier ein „chinesisches Dorf“ errichten. So nannte man es, aber es war in Wirklichkeit ein buntes Sammelsurium aller möglichen Kulturen und Religionen. Eine Pagode gehörte dazu, eine Buddha-Figur und auch eine Moschee. Aber jetzt kommt’s:

Um der gewünschten Exotik willen waren dort mindestens drei schwarze Frauen in Diensten.

Das geht natürlich gar nicht. Black lives matter! Freilich, gibt der Sprecher zu, wisse niemand, ob die farbigen Frauen freiwillig oder gezwungenermaßen ihren Dienst in Kassel verrichteten. Aber es sei bekannt, daß damals über 50 schwarze Menschen in Kassel lebten:

bei Hofe und im Militär, meist als Pfeifer und Trommler.

Sogar als „Geschenke befreundeter Herrscherhäuser“ soll es sie gegeben haben!

Voller Betroffenheit blicken die Frauen auf eine Infotafel:

Man findet hier nichts, was eine Verbindung hat zu dieser schwarzen Geschichte.

Die eine der beiden Frauen, eine Geschichtsstudentin, hat offenbar zum ersten Mal in ihrem Leben gehört, daß damals – man staune! – Güter aus den Kolonien nach Europa geschafft wurden. Das würde man heute Diebstahl nennen, sagt sie in aufrichtiger Empörung. Und über die schwarzen Frauen:

Sie wurden hier angesiedelt, als wär’s das Normalste von der Welt.

Am liebsten möchte man ihr da zurufen: Liebe Frau, das war damals das Normalste von der Welt! „Mohren“ gab’s damals fast an jedem Fürstenhof, und der Sklavenhandel blühte. Aber Hessen-Kassel war nun wirklich nicht sein Zentrum.

Die Stimme aus dem Off raunt wieder:

War Friedrich II. ein Rassist?

Eine Antwort gibt der Hessische Rundfunk nicht. Das ist auch nicht nötig, denn fast jeder, dessen Namen man einmal im Geschichtsunterricht gehört hat, gilt heute als Rassist. Columbus und die großen Entdecker sowieso, Churchill, Enid Blyton – und sogar Kant, wie ein Professor der Philosophie kürzlich in der F.A.Z. behauptete. Nur die jungen Aktivisten von heute sind keine Rassisten. Oder doch?

Einen umgekehrten, einen „schwarzen Rassismus“ gibt es heute in ganz Afrika. Der frühere Diktator von Zimbabwe, Robert Mugabe, hat nur den Weißen ihr Land weggenommen und viele von ihnen verprügeln oder ermorden lassen. Sein Land hat er damit ins Unglück gestürzt. Auch im benachbarten Südafrika wird schwarzer Rassismus nach Mandelas Abgang von den Herrschenden wieder befeuert. Wer das als Spätfolge des Kolonialismus abtut, muß sich sagen lassen, daß er alle Greueltaten von schwarzen Diktatoren damit rechtfertigt – und tatsächlich rechtfertigen ja viele dieser Staatsmänner ihre Taten bis auf den heutigen Tag mit dem Kolonialismus der Weißen.

Der hessische Landgraf, so heißt es im Bericht der Hessenschau, habe das Chinesische Dorf errichten lassen, „um seine Offenheit anderen Kulturen gegenüber zu demonstrieren“. Aber nichts war einem Landesherrn im 18. Jahrhundert fremder als so ein Motiv. Hier hat man der Vergangenheit einfach den moralischen Imperativ der Gegenwart übergestülpt. Auch im Internet findet sich dergleichen Ahistorisches, etwa im HNA Regiowiki, wo es heißt, mit dem Chinesischen Dorf „wollte der Adelige seine Weltoffenheit zeigen“. Ich hoffe nur, daß sich die „Recherche“ der Frauen (und der HR-Redaktion) nicht auch, wie es heute üblich ist, auf ein billiges Herumklicken im Internet beschränkt hat.

Reichlich und in vielen Quellen belegt ist dagegen eine wahre Untat des Landgrafen, von der im Beitrag keine Rede war: er hat geschätzte 12.000 seiner jungen Untertanen an den englischen König vermietet, der sie dann als Soldaten in den Kampf gegen die Unabhängigkeitsbewegung nach Amerika schickte.

Aber das waren ja nur – weiße Männer.

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