Um eines gleich vorweg zu sagen: ich finde, daß die Bundesregierung und die Länder insgesamt sehr gut auf die Coronakrise reagiert haben, auch wenn man natürlich Details beanstanden kann, z.B. den viel zu späten Schutz der Menschen in Alten- und Pflegeheimen. Und ich bin erstaunt und froh, daß die übergroße Mehrheit der Deutschen sich bisher außergewöhnlich diszipliniert verhalten hat. Ich sehe aber auch erste Entwicklungen, die mir Sorgen machen.
Es gibt Exzesse von Landes- und Kommunalpolitikern, die offenbar nicht begreifen, daß unsere Grundrechte auch in der Bedrohung durch eine Seuche niemals zur Disposition stehen. Und es gibt Bürgermeister, Landräte und Ministerpräsidenten, die wie kleine Könige ihre neugewonnene Macht dazu mißbrauchen, Grenzen zu schließen, ihre Landkreise oder ganze Bundesländer für „Auswärtige“ zu sperren, sämtliche Strände und sogar kleine Wanderparkplätze im Odenwald für Wanderer zu schließen. Da wird aus gewählten Politikern schnell eine „Obrigkeit“, die niemand mehr haben will, und man kann nur hoffen, daß gegen eine so exzessive Auslegung des Seuchenrechts der Gang durch die Instanzen ausgeschöpft wird.
Das alles sind freilich bis jetzt nur Ausnahmen. Viel bedenklicher sind die ersten zaghaften Versuche, alte Menschen – natürlich zu ihrem Besten! – auf Dauer, zumindest auf unbestimmte Zeit, in Quarantäne zu halten. Die Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) forderte (hier nachzulesen),
dass Menschen über 70 Jahre ihre Wohnung freiwillig nicht mehr verlassen sollten. Diese „Selbstquarantäne“ sei nur zu ihrem Besten. „Abstand ist der sicherste Schutz vor einer Infektion mit dem Coronavirus“, sagte die Politikerin. Nebenbei würde auch das Gesundheitsystem geschützt.
Weiter sagte sie laut BZ:
Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, alle ältere Menschen über 70 Jahre in Quarantäne zu nehmen. Wenig Körperkontakt, den Mund halten, wenn man in der Nähe ist.
Und der Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer (Die Grünen), denkt sogar daran,
die Quarantäne für Ältere verpflichtend zu machen.
Auf den Einwand, daß man doch die Gesellschaft spalte, wenn Junge weiterlebten wie bisher und Alte und Kranke weggesperrt würden, meinte er:
Nein, ich finde, das wäre ein neuer Generationenvertrag, bei dem die Jüngeren arbeiten gehen und das Infektionsrisiko auf sich nehmen, während die Älteren und Kranken auf soziale Kontakte verzichten.
Das Ziel wäre, das Wirtschaftsleben halbwegs zu normalisieren, sodass die Leute wieder arbeiten gehen können, aber keinen ungeschützten Kontakt mehr mit der Risikogruppe haben.
Liebe Dilek, lieber Boris! Meine Frau und ich sind über 70, wir gehören also zu der Risikogruppe, mit der ihr „keinen ungeschützten Kontakt“ mehr haben wollt. Ein seltsames Wort übrigens, „ungeschützter Kontakt“, da denkt man doch eher an Kondome als an die Internierung alter Menschen. Allein in Berlin müßtet ihr über zehn Prozent der Bevölkerung in die eigene Wohnung einsperren, damit ihr endlich wieder arbeiten und in eure Clubs gehen könnt. Da ist auf einmal ganz schnell Schluß mit dem Geschwätz von Inklusion, da wird exkludiert, was das Zeug hält. Aber da werden wir euch einen Strich durch die Rechnung machen. Wir sind nämlich viele, und wir haben nicht nur das Grundgesetz auf unserer Seite, wir sind auch fleißige Wähler. Vergeßt das nicht! Und den Mund halten, liebe Frau Kalayci, werden wir bestimmt nicht.
In diesem Zusammenhang habe ich mich – obwohl er ganz und gar nicht nicht mein Lieblingspolitiker ist – über ein Wort von Hans-Christian Ströbele unbändig gefreut:
Wenn sie die Alten und chronisch Kranken separieren, bin ich am nächsten Tag beim Bundesverfassungsgericht und klage.
Ich wünsche viel Erfolg!