Es ist zum Verzeifeln. Da sind sich doch eigentlich alle einig, daß Nächstenliebe und Barmherzigkeit die zentralen Werte im Christentum sind. Ohne sie ist alles andere nichts! Aber die katholische Kirche tritt gerade sie mit Füßen, und das auf einem Gebiet, in dem sie erschreckend wenig Kompetenz hat: bei Ehe, Familie und Sexualität. Da steht sie heute, um eine biblische Konstellation zu bemühen, den „Pharisäern und Schriftgelehrten“, denen es vor allem um die peinlich genaue Einhaltung der religiösen Vorschriften ging, näher als ihrem eigenen Religionsstifter, der sich zum Entsetzen der Gelehrten mit Sündern und Kleinkriminellen an einen Tisch setzte.
Nehmen wir ein aktuelles Beispiel. Da diskutieren im Jahr 2019 (!) deutsche Theologen in einer Podiumsdiskussion über zwei umstrittene Fragen: einmal die Haltung zur Homosexualität und dann die zu Geschiedenen und Wiederverheirateten. Bei den Homosexuellen geht es nicht etwa darum, ihnen das Sakrament der Ehe zu spenden, es geht nur darum, daß die Kirche einem gleichgeschlechtliches Paar, das zusammengefunden hat und auf Dauer miteinander leben will, den erbetenen Segen immer noch verweigert. Der anwesende Salesianerpater Markus Graulich verteidigt das:
Ein Segen würde der Lehre der Kirche widersprechen. Hier ist keine Weiterentwicklung zu erwarten.
Graulich, das sollte man hinzufügen, arbeitet in der römischen Kurie, die bis heute an der unbarmherzigen, archaischen Einstellung zur Homosexualität festhält.
Und die Geschiedenen? Da warnt der Moraltheologe Franz-Josef Bormann in der gleichen Veranstaltung,
bei wiederverheirateten Geschiedenen stehe die Schuld des Scheiterns der Ehe im Raum.
Die „Schuld des Scheiterns der Ehe“! Da muß man sich schon fragen, in welchem Paralleluniversum so mancher Theologe lebt.
Barmherzigkeit sieht jedenfalls anders aus.