Seit Tagen wird man in den gelehrteren Zeitungen mit Zitaten von Theodor Adorno überschüttet. Also will auch ich mein Scherflein beisteuern.
Es beginnt allerdings mit ein paar Sätzen, die Adorno Oswald Spenglers Untergang des Abendlandes entnommen hat. Spengler schreibt darin über die Häuser in den „Weltstädten“:
Sie sind überhaupt nicht mehr Häuser, in denen Vesta und Janus, die Penaten und Laren irgendeine Stätte besitzen, sondern bloße Behausungen, welche nicht das Blut, sondern der Zweck, nicht das Gefühl, sondern der wirtschaftliche Unternehmungsgeist geschaffen hat. So lange der Herd im frommen Sinne der wirkliche, bedeutsame Mittelpunkt einer Familie ist, so lange ist die letzte Beziehung zum Lande nicht geschwunden. Erst wenn auch das verloren geht und die Masse der Mieter und Schlafgäste in diesem Häusermeer ein irrendes Dasein von Obdach zu Obdach führt, wie die Jäger und Hirten der Vorzeit, ist der intellektuelle Nomade völlig ausgebildet. Diese Stadt ist eine Welt, ist die Welt. Sie hat nur als Ganzes die Bedeutung einer menschlichen Wohnung. Die Häuser sind nur die Atome, welche sie zusammensetzen.
Adorno bemerkt dazu in seiner Schrift „Spengler nach dem Untergang“:
Die Vorstellung vom späten Städtebewohner als zweitem Nomaden verdient, besonders hervorgehoben zu werden. Sie drückt nicht bloß Angst und Entfremdung aus sondern auch die dämmernde Geschichtslosigkeit eines Zustandes, in dem die Menschen sich bloß noch als Objekte undurchsichtiger Prozesse erfahren und, zwischen jähem Schock und jähem Vergessen, zur kontinuierlichen Zeiterfahrung nicht mehr fähig sind.
Und er zitiert noch einmal zwei Stellen aus Spenglers Untergang:
Ein grauenvolles Elend, eine Verwilderung aller Lebensgewohnheiten, die schon jetzt zwischen Giebeln und Mansarden, in Kellern und Hinterhöfen einen neuen Urmenschen züchten, hausen in jeder dieser prachtvollen Massenstädte.
Die intellektuelle Spannung kennt nur noch eine, die spezifisch weltstädtische Form der Erholung: die Entspannung, die ›Zerstreuung‹. Das echte Spiel, die Lebensfreude, die Lust, der Rausch sind aus dem kosmischen Takte geboren und werden in ihrem Wesen gar nicht mehr begriffen. Aber die Ablösung intensivster praktischer Denkarbeit durch ihren Gegensatz, die mit Bewußtsein betriebene Trottelei, die Ablösung der geistigen Anspannung durch die körperliche des Sports, der körperlichen durch die sinnliche des ›Vergnügens‹ und die geistige der ›Aufregung‹ des Spiels und der Wette, der Ersatz der reinen Logik der täglichen Arbeit durch die mit Bewußtsein genossene Mystik – das kehrt in allen Weltstädten aller Zivilisationen wieder.
Wie erholsam, wie anregend ist es, solche Sätze aus der Feder kluger Menschen zu lesen. Man erkennt erst dann so recht, welchem Wust aus Dummheit und Geschwätz man den ganzen Tag ausgesetzt ist.
Theodor Adorno ist am 6. August 1969, also heute vor 50 Jahren, während eines Urlaubs in der Schweiz gestorben.