Die Demokratie ist eine unvollkommene Staatsform. Sie ist so unvollkommen wie die Menschen, die in ihr leben. Wäre der Mensch immer edel, hilfreich und gut, bräuchte man sie nicht, ja, man bräuchte dann überhaupt keinen Staat.
Vollkommen wäre eine Demokratie nur, wenn alle Menschen klug und gebildet wären, wenn alle sich tatkräftig für das Gemeinwohl einsetzten und sine ira et studio ihre Zukunft planten.
Der gesunde Menschenverstand lehrt uns, daß davon keine Rede sein kann.
Aber die Demokratie ist eben keine utopische, sondern auch eine ganz praktische Staatsform. Deshalb kommt sie mit dem Menschen, wie er nun einmal ist, ganz gut zurecht. Menschen sind eben oft dumm, ungerecht und voller Haß. Das wird sich so schnell nicht ändern. Dummheit, böser Wille und Haß dürfen freilich ein bestimmtes Maß nicht überschreiten. Mit zehn oder zwanzig Prozent an Wirrköpfen kann eine Demokratie leben, solange die übrigen 80 Prozent maßvoll und vernünftig handeln (und entsprechend wählen). Wenn sich der Prozentsatz der 50-Prozent-Marke nähert, wird es schwierig.
Solche allgemeinen Überlegungen sind wichtig, weil wir gerade in einer Zeit der Wirrköpfe leben. Demagogen brechen weltweit alle Rekorde, selbst in den Niederlanden, einem Land, das immer friedlich und liberal war, haben sie heutzutage leichtes Spiel.
Immerhin: auch die Demagogen sind gewählt worden, und man kann (und wird!) sie wieder abwählen. Aber immer öfter kommt es zu einem Phänomen, das wirklich beunruhigen muß: Regierungen, die vom Volk gewählt wurden, um zu regieren, flüchten sich immer öfter in Urabstimmungen, Volksentscheide und Referenden, die zum Teil verheerende Folgen haben.
In einer repräsentativen Demokratie übt das Volk seine Souveränität in Wahlen aus. Alle vier (oder mehr) Jahre wählt man ein Parlament, das seinerseits die Regierung wählt. Dadurch ist bei der Verwirklichung des Volkswillens eine zeitliche Verzögerung eingebaut, eine (erwünschte!) Mittelbarkeit, die nicht etwa den Volkswillen behindert, sondern die großsprecherischen Demagogen.
Das ist in meinen Augen eine weise Einrichtung, aber sie wird durch Referenden jeder Art ständig unterlaufen. Was dabei herauskommt, kann jeder am Beispiel Großbritanniens beobachten. Die Demagogen, die Hitz- und Wirrköpfe vom Schlage eines Boris Johnson haben bei solchen Volksabstimmungen leichtes Spiel, weil sie als Clowns und Hofnarren – ohne Verantwortung und ohne moralische Skrupel – den Menschen das Blaue vom Himmel versprechen können. Wenn es ernst wird, wenn es ans Arbeiten, an die „Mühen der Ebene“ geht, empfehlen sie sich. Dann können andere die Suppe auslöffeln, die ihnen die Demagogen eingebrockt haben. Boris Johnson, ein Hauptschuldiger am britischen Chaos, ist geradezu ein Musterbeispiel dafür: nach einem kurzen Zwischenspiel als Außenminister, wo er in jedes denkbare Fettnäpfchen getreten ist, machte er sich davon. Auch der feine Herr Salvini, der sein Land gerade an die Chinesen verkauft, wird schon lange nicht mehr Minister sein, wenn Italien die harte Hand der chinesischen Parteidiktatur zu spüren bekommt.
Aber sie sind doch alle demokratisch gewählt worden! – wird man jetzt sagen.
Das stimmt. Aber auch Hitler ist auf demokratischem Wege Reichskanzler geworden. Die Bevölkerung auf den Philippinen hat einen bekennenden (und ganz und gar nicht reumütigen) Mörder zum Präsidenten gewählt. Brasilien wählt einen Bolsonaro, der den Agrarkonzernen den Regenwald zum Abholzen überlassen will und auch sonst Aussagen macht, bei denen man um das Wort „faschistisch“ wohl nicht herumkommt. Und Trump, Erdogan, Putin und so viele andere – sie alle sind in halbwegs freien Wahlen in ihr Amt gelangt. Da wünschte man sich manchmal, das Wahlrecht wenigstens an ein Minimum von Verstand und Moralität zu knüpfen.
Ansonsten müssen wir wohl auf bess’re Zeiten warten.