Noch einmal ein Zitat von Stefan Zweig

Ich muß doch noch einmal auf Stefan Zweigs wunderbare Biographie des Erasmus zurückkommen (Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam, Wien 1934). Die in weiten Teilen nachprüfbar rechtsextreme AfD hat ja, wie zu lesen war, ihre Parteistiftung in der ihr eigenen Dreistigkeit nach dem großen Humanisten benannt.

Stefan Zweig, der sich 1942 aus Verzweiflung über das Vordringen des Faschismus das Leben genommen hat, schreibt darin:

Wir müssen leider klar erkennen und bekennen, daß niemals ein Ideal breiten Volksmassen vollkommen Genüge tut, das einzig die allgemeine Wohlfahrt ins Auge faßt; bei den durchschnittlichen Naturen fordert auch der Haß sein düsteres Recht neben der bloßen Liebesgewalt, und der Eigennutz des einzelnen will von jeder Idee auch rasche persönliche Nutznießung. Immer wird der Masse das Konkrete, das Greifbare
eingängiger sein als das Abstrakte, immer darum im Politischen jede Parole am leichtesten Anhang finden, die statt eines Ideals eine Gegnerschaft proklamiert, einen bequem faßbaren, handlichen Gegensatz, der gegen eine andere Klasse, eine andere Rasse, eine andere Religion sich wendet, denn am leichtesten kann der Fanatismus seine frevlerische Flamme am Haß entzünden.

Ein bloß bindendes, ein übernationales, ein panhumanes Ideal dagegen wie das erasmische entbehrt selbstverständlich für eine Jugend, die ihrem Gegner kämpferisch ins Auge sehen will, das optisch Eindrucksvolle und bringt niemals jenen elementaren Anreiz wie das stolz Absondernde, das jedesmal den Feind jenseits der eigenen Landesgrenze und außerhalb der eigenen Religionsgemeinschaft aufzeigt. Immer werden es darum die Parteigeister leichter haben, welche die ewig menschliche Unzufriedenheit in eine bestimmte Windrichtung jagen; der Humanismus aber, die erasmische Lehre, die für keinerlei Haßleidenschaft Raum hat, setzt heroisch ihre geduldige Anstrengung auf ein fernes und kaum sichtbares Ziel, sie ist und bleibt ein geistaristokratisches Ideal, solange das Volk, das sie sich träumt, solange die europäische Nation nicht verwirklicht ist.

Zugleich Idealisten und doch Kenner der menschlichen Natur, dürfen darum die Anhänger einer zukünftigen Menschheitsverständigung niemals im unklaren sein, daß ihr Werk ständig von dem ewig Irrationalen der Leidenschaft bedroht ist, sie müssen aufopfernd bewußt bleiben, daß immer wieder in den Zeiten eine Sturzflut des Fanatismus, geballt aus den Urtiefen der menschlichen Triebwelt, alle Dämme überfluten und zerreißen wird: fast jede neue Generation erlebt solch einen Rückschlag, und es ist dann ihre moralische Aufgabe, ihn ohne innere Verwirrung zu überdauern.

Besser kann man die Situation kaum beschreiben, in der sich auch heute Demokratie und Menschlichkeit befinden.

Es hat freilich auch sein Gutes, daß die Gefährdung aller Kultur heute so deutlich zutagetritt. Die Illusion, daß eine gefestigte Demokratie wie die deutsche gegen den Angriff eines dumpfen Fanatismus für alle Zeit gefeit sei, läßt sich nicht mehr halten. Immerhin: noch bleibt der politische Mob bei uns eine kleine (wenn auch lautstarke) Minderheit. Wir sollten alles tun, daß es dabei bleibt.

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