Es stammt diesmal von Oscar Wilde. Der irische Schriftsteller hat mit diesem Satz 1891 das Vorwort zu seinem Roman The Picture of Dorian Gray eingeleitet:
The artist is the creator of beautiful things.
Wie bitte? Was ist denn das für ein anstößiger Satz! Ein schönes Gemälde, ein schöner Roman, eine schöne Skulptur – das geht gar nicht. Das Attribut „schön“ erzeugt bei den meisten Künstlern der Gegenwart nur ein spöttisches Lächeln. „Schön“: das ist doch tiefstes 19. Jahrhundert, Biedermeier, die Kunst von vorgestern. Heute will Kunst vieles sein: experimentell, gesellschaftskritisch, diskursanregend, und natürlich provokativ. Das ist überhaupt das Wichtigste: immer provokativ!
Die Kunst der Gegenwart will alles sein – nur nicht schön.
In einem fort will sie uns „zum Denken anregen“ (obwohl das Denken auch manchem Künstler wohl anstünde), sie will uns belehren (wie man kleine, unmündige Kinder eben belehrt), sie will provozieren (mit allerhand ekligem Zeug, vor allem auf der Bühne) – aber das alles wirkt doch schon lange nicht mehr. Wenn man ständig mit Häßlichen bombardiert wird, stumpft man ab, und am Ende langweilt man sich nur noch. Also kündigt man das Theaterabonnement, man flüchtet vor den „Installationen“ (was für ein Wort!), man wendet den Blick mit Grausen vor den rostigen Kunstwerken im öffentlichen Raum, die sich ein meist nicht sehr gebilderter Bürgermeister hat aufschwatzen lassen. Die Archäologen werden in ein paar hundert Jahren ratlos vor solchen ausgegrabenen Artefakten stehen.
„A thing of beauty is a joy forever“: auch dieser Satz stammt aus dem 19. Jahrhundert, nämlich von John Keats.
A thing of beauty is a joy forever:
Its loveliness increases; it will never
Pass into nothingness; but still will keep
A bower quiet for us, and a sleep
Full of sweet dreams, and health, and quiet breathing.
Was schön ist, wird uns immer (in deutsche Prosa übersetzt, die sich natürlich mit der Eleganz des Originals nicht messen kann)
eine Laube voller Ruhe sein, wird einen Schlaf uns bringen
voll süßer Träume, und Gesundheit und ein ruhiges Atmen.
Aber genau das wollen wir nicht! – ruft uns der Künstler von heute zu. Wir wollen doch die Zerrissenheit der Gegenwart zeigen, das Böse, das Häßliche, den Ekel! Und er hört nicht auf, uns damit zu ermüden und zu langweilen.
Der völlige Mangel an Unterscheidungsvermögen – was ist wirklich große Kunst, was nur Scharlatanerie? – ermöglicht es heute jedem Blender, sich als Künstler auszugeben.
Mario Vargas Llosa hat das in seinem (höchst lesenswerten!) kulturkritischen Buch „Alles Boulevard – Wer seine Kultur verliert, verliert sich selbst“ (bei Suhrkamp auch als Taschenbuch zu haben) auf den Punkt gebracht:
Wir leben mit dem Schwindel, dass alles gleichwertig sei, so dass kein Mensch mehr mit einem Minimum an Objektivität unterscheiden kann, was in der Kunst schön ist und was nicht. Selbst die Rede von Schönheit hat sich im Grunde erübrigt, denn allein der Begriff ist so diskreditiert wie die klassische Vorstellung von Kultur.
Und noch ein schönes Zitat (ich bitte um Verzeihung, daß ich schon wieder das Wort „schön“ gebraucht habe!) von Mario Vargas Llosa, demselben Buch entnommen:
Zu allen Zeiten gab es Gebildete und Ungebildete und zwischen den beiden Polen Menschen, die leidlich gebildet waren oder leidlich ungebildet, und diese Zuordnungen waren recht klar.
Heute ist das alles anders. Der Kulturbegriff wird derart weit gefasst, dass die Kultur sich verflüchtigt hat. Sie ist zu einem ungreifbaren Phantom geworden, einer bloßen Metapher. Denn kein Mensch ist mehr gebildet, wenn alle es zu sein glauben oder wenn der Inhalt dessen, was wir Kultur nennen, so verwässert ist, dass alle mit gutem Recht davon ausgehen können, dass sie gebildet sind.
Dem ist nichts hinzuzufügen.