Von den Protestanten ist man nichts anderes gewöhnt: seit ihren bahnbrechenden „Denkschriften“ zur Ostpolitik vor einem halben Jahrhundert sind ihre politischen Aussagen immer einseitiger und blauäugiger, ihre Diskussionen über den christlichen Glauben dagegen immer dürftiger, seichter und substanzloser geworden.
Die Folgen kann man in fast jedem evangelischen Gottesdienst erleben.
Die katholische Kirche war gegen diese Anbiederung an den Zeitgeist lange gefeit. Sie hat sich – völlig zurecht! – auf den Kern des Glaubens konzentriert, wie er sich in der Liturgie wiederspiegelt. Inzwischen muß man leider beobachten, wie – mit Kardinal Marx an der Spitze – eine Generation von Bischöfen den Ton bestimmt, die nach all den leidigen Skandalen (Mißbrauch, Finanzen usw.) die Gunst der Menschen zurückgewinnen will, indem sie sich fortschrittlich, tolerant und weltoffen geriert.
Nun sind solche Attribute, für sich genommen und unpolitisch betrachtet, harmlos und eher positiv, aber im zeitgenössischen politischen Kontext haben sie eine ganz andere, semantisch eingeengte Bedeutung. Sie stehen für eine bestimmte politische Ideologie, die fern jeder Wirklichkeit an starren Dogmen und Ritualen festhält: daß jeder Flüchtling gut sei und aufgenommen werden müsse, daß niemand zurückgeschickt werden dürfe, weil ihm in der Heimat womöglich Unbill drohen könne usw. Wenn man dann sagt, daß wir doch schon mehr Flüchtlinge aufgenommen haben als jedes andere Land in Europa, daß es aber natürliche und ganz praktische Grenzen gebe (und soziale Spannungen!), dann reagiert man im linken Milieu, zu dem die Aktivisten und Flüchtlingsverbände gehören, mit den gewohnten Schimpfwörtern, die längst zu bloßen Worthülsen geworden sind: man ist dann wahlweise Rassist, Reaktionär, man ist fremdenfeindlich, islamophob oder gar ein Nazi. Diese Menschen, die jeden Flüchtling hier aufnehmen möchten, egal, woher er kommt, egal, ob er verfolgt worden ist oder nicht, egal, ob er ein ehrlicher Mensch oder ein Schurke ist, und die mit allen rechtlichen Mitteln und einem offenbar unbegrenzten Reservoir an Geld und Anwälten um das Dableiberecht jedes Flüchtlings kämpfen, statt die Spreu vom Weizen zu trennen – sie alle sonnen sich in ihrer Moral und interessieren sich nicht für die praktischen Folgen ihres Tuns.
Auf dem Katholikentag, einem Treffen der katholischen Laien, war zu beobachten, wie der Zeitgeist inzwischen auch die katholische Kirche mit Macht ergreift. Das Hauptthema war natürlich das Kreuz, genauer gesagt: Söders Erlaß, im Eingangsbereich aller bayerischen Behörden ein Kreuz anzubringen. Die Stimmung auf dem Katholikentag war von Mißtrauen gegen die CSU beherrscht, Söders Vorstoß wurde (wenn ich die Berichte richtig verfolgt habe) von der Mehrheit der Besucher abgelehnt. Natürlich habe man nichts gegen das Kreuz (das wäre ja auch noch schöner!), aber … Diesem etwas listigen ABER, hinter dem man sich gut verstecken kann, das sogar ein bißchen nach kluger Differenzierung aussieht, folgt dann die schroffe Absage: Kreuz ja, aber doch nicht von Staats wegen, und schon gar nicht durch die CSU, und erst recht nicht vor Wahlen! Kardinal Marx geht noch weiter: Söder schaffe „Spaltung, Unruhe, Gegeneinander“:
Wenn das Kreuz nur als kulturelles Symbol gesehen wird, hat man es nicht verstanden. Dann würde das Kreuz im Namen des Staates enteignet.
Das klingt, als habe Söder (wie einst Konstantin) soeben die christliche Staatskirche eingeführt. Und man staunt: so große Worte zu einer so kleinen Sache? Wozu hat die katholische Kirche in der Verhangenheit nicht schon fromm geschwiegen, und jetzt braust sie auf, ausgerechnet, wenn sich ein Bundesland zu seiner christlichen Tradition bekennt?
Seehofers Entgegnung kann man da nur zustimmen:
Ich habe keinerlei Verständnis dafür, dass der Kardinal es kritisiert, wenn Kreuze in unseren bayerischen Behörden aufgehängt werden.
Ich habe dafür auch kein Verständnis, und ich habe einen Verdacht: daß nämlich die unbegreifliche Schroffheit in den kirchlichen Reaktionen eigentlich nichts mit dem Kreuz und schon gar nichts mit dem christlichen Glaubensinhalt zu tun hat. Könnte es nicht eher so sein, daß die Infantilisierung des Glaubens, seine Reduzierung auf ein bißchen seichte Lebenshilfe und frommes Moralisieren, wie sie bei den Protestanten schon gang und gäbe ist, jetzt auch die katholische Kirche bis in ihre höchsten Kreise erfaßt hat?