Daß wir in einem neuen Zeitalter der Demagogie leben, steht außer Frage, man muß sich nur die Personalien in der Welt ansehen: Trump, Orbán, Putin, Erdogan – und das sind ja nur die großen Namen. Warum das freilich gerade jetzt so gekommen ist, weiß niemand. So wie der Heilige Geist weht, wo er will, so kommt man auch dem säkularen und oft recht unheiligen Zeitgeist selten auf die Schliche. Daß aber Vernunft und Gelassenheit gottlob auch in einem solchen Zeitalter immer da sind und notfalls überwintern, bis der Spuk vorbei ist, davon darf man getrost ausgehen.
Auf die Dummheit der Menschen, so scheint es jedenfalls, ist Verlaß. Sie allein bewirkt aber noch nicht viel. Etwas anderes muß hinzukommen: eine Gruppe, die mit allen rhetorischen und demagogischen Mitteln den Haß schürt und so die (politische) Dummheit in die gewünschten Bahnen lenkt. Solche Gruppen sind mittlerweile fast überall in unserem guten alten Europa vorhanden: leider auch in Deutschland.
Das politische Vokabular der AfD ist bescheiden. Aber es ist wirkungsvoll – vielleicht ja gerade, weil es ohne intellektuelle Tiefe auskommt. Komplexität in der Beschreibung der Wirklichkeit war noch nie die Sache der Demagogen. Ein paar Schlüsselbegriffe, die stakkatohaft wiederholt werden, genügen – am Ende läuft es ab wie beim Pawlowschen Reflex: so wie beim Hund der Speichel fließt, wenn das Glöcklein erklingt, so johlt oder buht man auf AfD-Versammlungen, sobald bestimmte Schlüsselbegriffe auftauchen: „Altparteien“ etwa oder „Lügenpresse“ oder „die Dame in Berlin“.
Ich erinnere da immer wieder an die beiden Widersacher nach der Ermordung Julius Caesars, deren Reden Shakespeare in seinem Stück The Tragedy of Julius Caesar so wunderbar pointiert ausgeführt hat: gegen den Demagogen Mark Anton hatte der vernünftig argumentierende Brutus keine Chance. Mark Anton spielte kunstvoll auf der Klaviatur der Emotionen, sein „Brutus is an honourable man“ wird wie ein Refrain wiederholt und klingt mit jeder Wiederholung hämischer und bösartiger.
Den Ausgang der Geschichte kennt man.
Eines der infamsten Schlüsselwörter aus der Mottenkiste der AfD und ihres Umfelds ist das Wort „Zensur“. Damit wird suggeriert, wir lebten in einem von Grünen und Linken beherrschten Staat, wo die Medien „zensiert“ und reglementiert werden, um die „Wahrheit“ zu unterdrücken. Natürlich ist die einzige Partei, die für die deutsche Freiheit kämpft – die AfD selbst. Es ist ein grobes Zerrbild des heutigen Deutschlands, das sie entwirft, und fast hätte man Lust, hier – mit einem Begriff, den die politischen Ahnen der Rechten geprägt und auf alle Andersdenkenden gemünzt haben – von „Nestbeschmutzern“ zu reden.
Heute zum Beispiel findet am historischen Ort das sog. „Neue Hambacher Fest“ statt, das sich auf die Ereignisse des Jahres 1832 beruft. Es wird von einem bekennenden AfD-Wähler organisiert, und die eingeladenen Redner (Meuthen, Sarrazin, Lengsfeld usw.) bieten Gewähr dafür, daß man unter sich bleibt.
Unsere Demokratie, in der jeder Trottel seine Meinung in miserablem Deutsch in die Welt posaunen kann – und das Recht dazu soll er auch behalten! -, diese Demokratie also auch nur im Ansatz mit der Unterdrückung und den Kerkern des Metternichschen Zeitalters zu vergleichen, ist eine Geschichtsklitterung dreistester Art.
Und die AfD weiß genau, was sie tut. Mark Anton läßt grüßen.
PS: Gehen Sie doch einmal im Internet auf eine beliebige Seite einer unserer Tageszeitungen, und lesen sie dort, falls die Kommentarfunktion offen ist, die Kommentare der User. Sie werden feststellen, daß die Zahl der AfD-Anhänger unter den Schreibern fast überall geschätzt zwischen 60 und 95 % liegt. Und falls Sie einem dieser feinen Damen und Herren widersprechen, und sei es noch so sachlich, dann werden Sie schnell merken, wie diese armen, von der Zensur grausam unterdrückten AfD-Anhänger mit Andersdenkenden umgehen.
Probieren Sie es doch einmal aus!