Ein Mann sieht rot – so könnte man beschreiben, was Erdogan in seinem Land anrichtet. Er kennt nichts mehr außer Massenverhaftungen und steckt jetzt ausgerechnet die ins Gefängnis, die ihm als einzige politische Gesprächspartner auf kurdischer Seite helfen könnten. Wenn sich die Kurden nicht mehr politisch artikulieren können, werden ihre Splittergruppen noch brutaler terroristisch vorgehen. Die nächsten Attentate sollten dann nicht lange auf sich warten lassen.
Für all das hat Erdogan nur eine Erklärung: den Putsch. Das freilich ist glatt (und frech!) gelogen, aber das Lügen von Politikern ist ja neuerdings wieder sehr in Mode gekommen, man denke nur an Putin und Trump, und es ist mit dem Wort „postfaktisch“ sprachlich schlecht und außerdem nur unzureichend beschrieben. Der Putsch war ja nicht der Grund für Erdogans Exzesse, er war nur der willkommene Vorwand. Schon lange vorher hat der Sultan Schritt für Schritt das Land islamisiert und seine quasidiktatorische Macht mithilfe der Landbevölkerung und seiner ihm sklavisch ergebenen AKP gefestigt. Sein Kurs der Aussöhung mit den Kurden war freilich auf gutem Wege – bis ihm die HDP die absolute Mehrheit genommen hat. Eine solche Kränkung nimmt ein Erdogan nicht hin, und nur aus diesen persönlichen und niedrigen Beweggründen hat er den bewaffneten Kampf gegen die Kurden wieder aufgenommen.
Ist das jetzt die türkische Art, ein Problem zu lösen? Ich weiß es nicht – aber es ist die einzige Art, die Erdogan kennt. Ein wirklicher Staatsmann (der er nie war!) würde versöhnen, statt das Land zu spalten. Aber Erdogan glaubt wohl, daß er jetzt, wo er die politische Opposition, die freie Presse und die unabhängige Justiz ausgeschaltet hat, solche Rücksichtnahme nicht mehr nötig hat.
Er wird noch sein blaues Wunder erleben.
PS: Gerade jetzt wäre es dringend nötig, daß das freie Europa sich dem Sultan widersetzt und sich ohne Wenn und Aber auf die Seite der verhafteten türkischen Demokraten stellt, deren Zahl schon in die Hunderttausende geht. Da kommt aber von Merkel und Steinmeier – außer einem milden Stirnrunzeln – nichts. Gar nichts.