Es gibt Kritiker – und es gibt Kritiker.
Die einen beobachten die Sendung genau, bewerten die Argumente und die Leistung des Moderators und schreiben darüber. Die anderen (und zu ihnen gehört Hans Hütt, der leider für eine der besten deutschen Tageszeitungen, nämlich für die F.A.Z., schlechte Fernsehkritiken schreiben darf) äußern vorgefaßte Meinungen und lassen ihren Vorurteilen freien Lauf.
So war es gestern abend bei Anne Will. Hans Hütt war offenbar fest entschlossen, es dem einzigen klugen Kopf in der Runde (und dem einzigen Fachmann!) mal so richtig zu zeigen. Hören wir einmal, was er zu Prof. Spitzer sagt:
Tatsächlich saß in der Runde von Anne Wills Gästen mit dem Ulmer Psychiater Manfred Spitzer ein Eiferer, der die Dramaturgie der Sendung fast torpediert hätte.
Psychiater Spitzer holt weit aus mit der Begriffskeule der „digitalen Demenz“, die unter seinem diagnostischen Blick nur vage Gestalt annimmt. Er habe nichts gegen die Technik, will Kinder und Jugendliche aber so lange wie möglich davor bewahren. Am besten sollten sie erst mit 14-16 Jahren damit beginnen. Die frühe Nutzung digitaler Medien führe zu Angst, Aggression, Aufmerksamkeitsstörung, Diabetes, Schlafstörungen und Demenz.
Sascha Lobo ernennt Spitzer daher zu einem Angst-Unternehmer, dem es vor allem um den Absatz seiner einschlägigen Bücher gehe.
Bitkom-Chef Rohleder erfüllt seinen Verbandsauftrag und sorgt sich darum, wie der für das Jahr 2030 befürchteten Fachkräftemangel vermieden werden könne. Kaum durch digitale Enthaltsamkeitsrezepte für die deutsche Jugend von Dr. Spitzer.
34 Prozent der deutschen Lehrer benutzen nur einmal in der Woche Computer. Spitzer reagiert darauf wie von der Tarantel gestochen. Kinder seien keine Computer, machten keinen Download, wenn sie etwas verstehen, verändere sich ihr Gehirn. Dass diese Neuroplastizität auch in der Interaktion mit Computern, etwa beim Programmieren lernen, zustande komme, scheint ihm Teufelszeug. Als auch Rohleder einwendet, mit Spitzers Rezepten seien Jugendliche nicht angemessen auf die Digitalisierung vorzubereiten und Spitzer wieder „falsch!“ dazwischen ruft, ernennt ihn Lobo zu Mr. Wrong.
Lobo hat recht. Spitzer will die deutsche Jugend auf ein Leben in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts vorbereiten. Ihm scheint egal, wie die Welt da draußen sich verändert. Was für eine fatale Lage.
Muß man noch sagen, daß „Sascha Lobo“, ein unkritischer Spießer mit Irokesenhaar, der seine Frisur, wie er selbst sagt, „aus Marketinggründen“ trägt, um damit einen „höheren Wiedererkennungswert“ zu erzielen (hier nachzulesen), daß also dieser sog. Werbetexter und „Blogger“ bei Hütt ausgesprochen gut wegkommt?
Manfred Spitzer ist alles andere als ein Eiferer. Man kann seine ausgewogenen, reich dokumentierten Gedanken in dem Buch „Digitale Demenz“ nachlesen, das natürlich allen „Bloggern“, „Usern“ und Digitalisierungsgewinnlern ein Ärgernis ist. Ich kann die Lektüre nur empfehlen!