Die Zahl der aberkannten Doktortitel unter unseren Politikern wächst und wächst. Da könnte man hübsche Psychogramme anfertigen, denn jeder dieser Politiker geht mit seiner Schuld anders um – und eine Schuld ist das Erschleichen eines akademischen Titels ja wahrhaftig.
Die klügeren unter ihnen gehen in sich und sagen – nichts. Leider kenne ich keinen einzigen prominenten Fall, den man dieser Gruppe zurechnen könnte. Es muß nämlich niemand eine Schuld öffentlich eingestehen, und niemand muß die Sensationsgier der Presse befriedigen. Wenn er selbst mit sich ins Reine kommt, dann ist schon viel gewonnen. Man muß nur zur eigenen Schuld stehen und (nicht wenige der Delinquenten sind ja gute Katholiken) beichten und bereuen. Aber sie tun es nicht! So gut katholisch scheinen sie also dann doch nicht zu sein. Also, wie gesagt: ein Fall von Einsicht und stiller Reue ist mir nicht bekannt.
Der Normalfall sieht leider anders aus: man ist trotzig, störrisch und gibt die Schuld der ganzen Welt – nur nicht sich selbst.
Nehmen wir Veronica Saß, die Tochter von Edmund Stoiber. Die Universität Konstanz hat ihr die Doktorwürde aberkannt, weil „erhebliche Teile ihrer Arbeit“ (hier nachzulesen) schlicht und einfach abgeschrieben seien. Die Internetseite VroniPlag berichtet, daß ihre Dissertation u.a. ein „fast durchgängiges, wortwörtliches Plagiat von knapp 40 Seiten“ aufweise (Quelle siehe oben). Geht Frau Saß in sich? Keineswegs! Ihre Anwälte (heutzutage hat man ja immer gleich mehrere Anwälte) sagen, ihrer Mandantin sei nicht die Möglichkeit gegeben worden, „nach der bevorstehenden Geburt ihres Kindes persönlich vor dem Promotionsausschuss Stellung zu nehmen“. Das verstehe ich nun wirklich nicht: was hat denn die Geburt ihres Kindes mit ihrer mutmaßlichen Schwindelei in der Doktorarbeit zu tun? Wenn man der Universität Glauben schenkt, hat sie die Möglichkeit zu einer persönlichen Stellungnahme nicht angenommen, obwohl man bei der Einladung ihre Schwangerschaft berücksichtigt habe. Sie habe lediglich eine umfangreiche schriftliche Stellungnahme geschickt. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft Konstanz gegen sie wegen des Verdachts einer falschen eidesstattlichen Versicherung.
Auch Karl-Theodor zu Guttenberg gibt bis heute keine vorsätzliche Fälschung zu, obwohl die Universität Bayreuth, die ihm den Titel aberkannt hat, den Sachverhalt drastisch genug formuliert (der Wikipedia entnommen):
Eine von der Universität Bayreuth eingesetzte Untersuchungskommission kam nach dreimonatiger Prüfung zu dem Schluss, dass zu Guttenberg „die Standards guter wissenschaftlicher Praxis evident grob verletzt und hierbei vorsätzlich getäuscht“ habe. Er habe Plagiate über die ganze Arbeit verteilt eingebaut, die Originaltexte umformuliert, den Satzbau umgestellt, Synonyme verwendet und Einzelheiten ausgelassen. Dies setze ein „bewusstes Vorgehen“ voraus, mit dem er sich die Autorschaft angemaßt habe.
Guttenberg freilich bleibt dabei: die Dissertation sei zwar „sehr fehlerhaft“, aber das sei nur seiner Mehrfachbelastung als Abgeordneter und Familienvater geschuldet. Er habe einfach den Überblick verloren.
Auch Silvana Koch-Mehrin (FDP) hat ihren Titel verloren – sie hat es, so der Dekan der Universität Heidelberg, auf 80 Textseiten auf immerhin 120 Plagiatstellen gebracht. Ist sie jetzt eine reuige Sünderin? Nichts liegt ihr ferner. Sie räumt zwar ein, daß ihre Dissertation „kein Meisterstück“ sei und auch „nicht frei von Schwächen, nicht selten ungenau, oberflächlich und manchmal geradezu fehlerhaft“. Aber der Doktortitel sei ihr „in voller Kenntnis aller eklatanten Schwächen“ verliehen worden. Die Universität habe die vorgelegte Arbeit auch – entgegen guter wissenschaftlicher Praxis – nicht sorgfältig genug geprüft.
Da erübrigt sich jeder Kommentar.
Der neueste Fall ist der des FDP-Politikers Georgios Chatzimarkakis. Ihm hat der Promotionsausschuß der Universität Bonn nachgewiesen, daß über die Hälfte des Textes seiner Dissertation von anderen Autoren stamme (hier nachzulesen). Auch Chatzimarkakis (wie könnte es anders sein!) leugnet jede Täuschungsabsicht, spricht von einem „Grenzfall“ und schreibt auf seiner Internetseite:
Dass meine damals gewählte Zitierweise heute als unzureichend angesehen wird, bedauert niemand mehr als ich.
Ist das nicht fein ausgedrückt? „Meine damals gewählte Zitierweise“ – da kann man ihm doch keinen Strick daraus drehen. Sind doch alles Kinkerlitzchen!
Als jetzt herauskam, daß der Gründer der Internet-Plattform VroniPlag der SPD angehört, war es übrigens Chatzimarkakis, der den Enthüllungen „parteipolitisches und kommerzielles Interesse“ unterstellte.
Alle diese Fälle, so unterschiedlich sie sonst auch sein mögen, haben eine Gemeinsamkeit: die hartnäckige Weigerung der Betroffenen, ihre Verfehlung einzugestehen. Diese Unfähigkeit, sich der Wahrheit öffentlich zu stellen, ist offenbar unabhängig von Alter, Geschlecht und Parteizugehörigkeit. Man beschäftigt ganze Stäbe von Anwälten, wo doch ein einziges aufrichtiges Wort genügt hätte, die Sympathie der Menschen zurückzugewinnen.
Die Gründe für dieses Verhalten liegen aber vielleicht noch tiefer. Sie könnten auch mit der fortschreitenden Säkularisierung unserer Gesellschaft zu tun haben, die mit Begriffen wie „Schuld“, „Reue“ und „Sühne“ nur mehr wenig anfangen kann. Für einen Christen sind das vertraute Wörter. In der katholischen Liturgie etwa gehört das allgemeine Schuldbekenntnis – mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa – zu den Gebeten der Heiligen Messe, und was man als persönliche Schuld auf sich geladen hat, kann man dem Beichtvater schildern. Das mag in vielen Fällen nur noch ein bloßes Herunterbeten sein, aber wie ernst er ein solches Sakrament nimmt, liegt ja immer beim einzelnen Gläubigen.
Der moderne, aufgeklärte Mensch braucht so etwas natürlich nicht mehr. Er muß sich ja auch vor keiner höheren Instanz mehr verantworten. Was könnte ihn also noch hindern, fröhlich zu schummeln und dann alles zu leugnen?
Übrigens gibt es schon neue Kandidaten. Nach einem Bericht der Wochenzeitung Die Zeit soll der niedersächsische Kultusminister Bernd Althusmann in seiner Dissertation „die Sorgfaltspflicht verletzt und im großen Stil gegen wissenschaftliche Regeln verstoßen“ haben. Althusmann ist pikanterweise auch Vorsitzender der Kultusministerkonferenz. Und – man hätte es sich denken können – er weist alle Vorwürfe zurück.
Auch gegen den sächsischen Kultusminister Roland Wöller sind Plagiatsvorwürfe erhoben worden. Die seien aber schon im Jahr 2008 ausgeräumt worden – sagt Roland Wöller.