Papst Franziskus und Helmut Kohl

Das Christentum ist heute immer noch ein konfessioneller Flickerlteppich. Katholiken, Protestanten, Orthodoxe – sie alle haben lange mit Lust das betont, was sie voneinander unterscheidet. Theologische Spitzfindigkeiten, etwa zur Rechtfertigungslehre oder zur Stellung des Bischofs von Rom, sind ihnen (oft sogar heute noch) wichtiger als der Kern ihres Glaubens.

Dabei ist dieser Kern so einfach, daß man nun wirklich kein Theologiestudium braucht, um ihn zu verstehen. Eine Gesetzesreligion, die den Gläubigen vorschreibt, was sie essen, tun und lassen dürfen, ist das Christentum nie gewesen. Im Grunde kann man den ganzen christlichen Glauben in zwei Worten zusammenfassen, die sich auch noch weitgehend überschneiden: Nächstenliebe und Barmherzigkeit. Das ist der Glaubenskern, und an ihm (und nicht an irgendwelchen Vorschriften und Verboten) muß sich ein Christ messen lassen.

Insofern ist gerade die sog. „Flüchtlingskrise“ ein Prüfstein für den christlichen Glauben.

Hic Lesbos, hic salta! – das möchte man zumindest jenen Politikern zurufen, die sich christlich nennen oder das „christliche Abendland“ verteidigen wollen. Einer, der sich uneingeschränkt und bewundernswert daran hält, ist Papst Franziskus – das hat er bei seinem Kurzbesuch auf Lesbos wieder auf eindrucksvolle Weise gezeigt.

Und Helmut Kohl? Vielleicht hätte ihn seine junge Frau davon überzeugen sollen, daß er besser nicht mehr öffentlich auftreten sollte. Wenn er es aber doch tut, dann darf man ihn genauso kritisieren wie jeden anderen Politiker auch. Seine historischen Verdienste um die deutsche Einigung, die unbestreitbar sind, machen ihn nicht unantastbar.

Jetzt hat er sich mit einem Paukenschlag in die Tagespolitik eingemischt: ausgerechnet zugunsten seines „Freundes“ Viktor Orbán, den er am Dienstag in Oggersheim empfangen will. In einem Vorwort zur ungarischen Ausgabe seines Buches „Aus Sorge um Europa“ kritisiert Kohl nicht nur die deutsche Flüchtlingspolitik allgemein, sondern gerade auch die Rettung der in Ungarn im September 2015 gestrandeten und von Orbáns Regierung gedemütigten und wie Aussätzige behandelten Menschen.

Kohls Argument (hier nachzulesen):

Einsame Entscheidungen, so begründet sie dem einzelnen erscheinen mögen, und nationale Alleingänge müssen der Vergangenheit angehören.

Wohlgemerkt: damit meint er nicht die „einsamen Entscheidungen“ von Orbán, von Polen, Tschechien und vielen anderen EU-Ländern, die sich der europäischen Solidarität hartnäckig verweigert und nicht einen einzigen Flüchtling aufgenommen haben. Damit meint er Deutschland, das sich als einziges Land in einer extrem schwierigen Lage dazu entschlossen hat, christlich zu handeln.

Für Kohl ist das ein Fehler gewesen, denn die Flüchtlinge

folgen oft auch einem anderen als dem jüdisch-christlichen Glauben, der zu den Grundlagen unserer Werte- und Gesellschaftsordnung gehört.

Mit anderen Worten: da, wo Menschen in Not sind, fragen wir sie erst einmal, an welchen Gott sie glauben, zu welchem Kulturkreis sie gehören? Und da die meisten von ihnen Muslime waren, hätten wir sie besser im ungarischen Morast lassen sollen, ohne richtige Kleidung, ohne Nahrung, ohne ärztliche Versorgung?

Eine der Flüchtlingsfrauen hat in einem Bahnhof ihr Kind zur Welt gebracht. Kein ungarischer Arzt hat ihr geholfen. Kohls Freund Orbán hat nur lapidar erklärt, man habe die Flüchtlinge ja nicht eingeladen.

Das ist nicht meine Vorstellung vom christlichen Glauben.

Und wie der „praktizierende Katholik“ Kohl so etwas ausgerechnet im von Papst Franziskus ausgerufenen „Jahr der Barmherzigkeit“ schreiben kann, bleibt mir ein Rätsel.

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