Die jüngere Generation ist im Zeitalter der Digitalkamera mit dem Farbbild aufgewachsen. Ein Schwarz-Weiß-Bild wirkt auf sie wie ein Fundstück aus (buchstäblich!) grauer Vorzeit (etwa mit den Sepiatönen aus der Frühzeit der Fotografie vergleichbar). Dabei hat es auch nach der Einführung des Farbfilms immer Fotografen gegeben, die bewußt auf die Farbe verzichtet haben.
Aber warum? Ist ein buntes Bild denn nicht viel schöner?
Die Antwort darauf bekommen Sie zum Beispiel in Frankfurt am Main in der U-Bahn-Station Bockenheimer Warte. Dort schmücken überlebensgroße Bilder von Barbara Klemm die Wände: alle etwa ein halbes Jahrhundert alt, alle schwarz-weiß. Es sind Szenen aus dem studentenbewegten Frankfurt der 60er Jahre, und sie zeigen nicht nur die handwerkliche und künstlerische Perfektion der Fotografin, sie beweisen auch, daß der Verzicht auf Farbe nicht Snobismus, Nischenkunst ist, sondern die Voraussetzung für höchste Qualität. Ich bin sicher, daß schon mancher Fahrgast bei der Betrachtung dieser Bilder seine U-Bahn verpaßt hat. Man kann sich kaum von ihnen trennen.
Wenn wir uns diese Bilder, die schon eine historische Bedeutung haben, für einen Moment farbig vorstellen: sie würden alles einbüßen, was ihre Einzigartigkeit ausmacht. Es wären eben nur – bunte Bilder. Denn schwarz-weiß fotografieren heißt immer auch: erst das Bild im Kopf komponieren, überlegen, wie sich die Farben als Grautöne darstellen, und alles (wenn möglich) in der Dunkelkammer zu einem perfekten Bild machen. So geht Barbara Klemm auch heute noch vor. Mit Knipsen hat diese handwerkliche Kunst wirklich nichts zu tun.
Aber heutzutage muß eben alles bunt sein, und nicht umsonst intensivieren viele digitale Kameras die Farben noch über alles Realistische hinaus.
Es kann uns gar nicht bunt genug sein!
Und so ist es, wenn ich den großen Sprung ins Metaphorische wagen darf, auch in der Gesellschaft. Wir treiben es bunt, selbst Bundespräsidenten sprechen begeistert von der „bunten Republik Deutschland“. Da darf es keine Schwarz-Weiß-Töne mehr geben, und graue Mäuse stehen auf der untersten Stufe der Beliebtheitsskala. Die traditionelle Familie teilt dieses Schicksal: grau ist sie und eintönig. Schrecklich! Nur in gleichgeschlechtlichen Beziehungen geht es bunt zu, deshalb haben sie als ihr Symbol den Regenbogen usurpiert, obwohl der in der unserer Kultur eine ganz andere Bedeutung hat. Er ist in der Bibel das Zeichen des Bundes, den Gott nach der Sintflut mit den Menschen geschlossen hat (Genesis 9,13 ff.):
Ich stelle meinen Bogen in die Wolken, er soll ein Zeichen des Bundes zwischen mir und der Erde sein … Nie mehr soll das Wasser zur Flut werden, um alles Fleisch zu vernichten.
Übrigens – aber das nur am Rande! – geht es in Bibel überhaupt äußerst bunt zu, aber das merkt man natürlich nur, wenn man in ihr liest. Das wagen freilich immer weniger Menschen, weil es ihnen auf eine diffuse Art peinlich ist. Auch könnte ja der atheistische Säulenheilige Dawkins einen Blitz herabschleudern, oder der Leser wird womöglich Opfer eines Shitstorms der Giordano-Bruno-Stiftung!
Und doch: es muß nicht immer alles bunt sein. Ist nicht ein feines, gleichmäßiges Grau viel beruhigender? Brauche ich wirklich immer und überall diese grellen, poppigen Farben, wie sie uns in jedem Werbespot anschreien? Und ist nicht eine schwarz-weiße Sicht der Dinge oft viel näher an der Wahrheit als der gesellschaftlich aufgezwängte Druck, alles in tausend Zwischentönen zu sehen?
Das nur als kleine Anregung, sich ab und zu dem Zeitgeist zu widersetzen.