Schäubles Welt – und die griechische Wirklichkeit

Wer gestern das heute-journal gesehen hat, konnte etwas Seltsames erleben: ein Interview mit Schäuble und eine Reportage aus Athen. Die Beiträge hatten zwar das gleiche Thema, nämlich Griechenland, aber die unterschiedliche Perspektive war fast gespenstisch.

Schäuble zeigte die Kälte, die man auch von Merkel gegenüber Griechenland kennt: so arrogant, so buchhalterisch trocken, so mitleidlos würde man wohl nicht einmal über Mali oder die Elfenbeinküste reden. Aber das ist eben Schäubles Welt: die der Banken, der Milliardenkredite und Ratingagenturen. So hoch steht er über den Dingen (über den wirklichen Menschen und dem wirklichen Leben), daß er auf Marietta Slomkas zarte Versuche, über Alternativen zum Totsparen eines ganzen Landes nachzudenken, gar nicht einging.

Die Reportage aus Griechenland zeigte dann, was Schäuble sichtlich nicht interessiert: wie nämlich aus einem wunderschönen Land mit hart arbeitenden, fröhlichen Menschen in wenigen Jahren ein Haus des Elends geworden ist. Im Magazin der Süddeutschen Zeitung hätte Schäuble schon 2012 lesen können, was seine Politik des Totsparens anrichtet:

In den Schlangen vor den Armenküchen warten täglich Tausende auf eine warme Mahlzeit. Eltern geben ihre Kinder bei SOS-Kinderdörfern ab, weil sie sie nicht mehr ernähren können, mehr als 300 000 Griechen haben allein dieses Jahr ihr Auto abgemeldet, weil sie es sich nicht mehr leisten können. Nach Angaben der griechischen Arbeitsmarktaufsicht haben bis zu 500 000 der zwei Millionen Festangestellten von privaten Unternehmen seit Monaten keine Löhne mehr bekommen. Im griechischen Fernsehen werden Menschen interviewt, die sich absichtlich mit HIV infiziert haben, um vom Staat wenigstens Sozialhilfe zu bekommen.

Und noch eines. Griechenland hatte immer die niedrigste Selbstmordrate in Europa. Jetzt steigen die Zahlen unaufhörlich. Tausende sollen es sein, seit Merkel und Schäuble Griechenland die Daumenschrauben angelegt haben.

Auch der 77jährige Dimitris Christoulas ist einer von ihnen. 35 Jahre lang hatte er als Apotheker in die Rentenkasse eingezahlt. Am 4. April 2012 fuhr er mit der U-Bahn zum Syntagma-Platz und erschoß sich.

In seinem Abschiedsbrief schrieb er, er wolle lieber in Würde sterben, als im Müll nach Nahrung zu suchen.

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