Die Europäer nehmen von Putin alles hin – sie verhandeln und verhandeln und verhandeln und verhandeln. Und während sie verhandeln und dabei immerfort das hohe Lied auf eine „friedliche Lösung der Ukraine-Krise“ singen, macht ein anderer Nägel mit Köpfen: Putin. Er hat in wenigen Monaten aus einem Haufen von trinkfreudigen Separatisten eine Truppe gemacht, die der ukrainischen Armee weit überlegen ist.
Wie hat er das gemacht? Er hat die wenigen Häuptlinge der Aufrührer als Aushängeschild auf ihren Posten gelassen, die eigentliche Hauptstreitmacht aber mit seinen eigenen Elitesoldaten aufgefüllt. Das war nicht weiter schwer, denn die Grenze zwischen Rußland und der Ostukraine ist offen wie ein Scheunentor. Tschetschenen, Freiwillige, Söldner und reguläre russische Offiziere haben nach der Krim nun auch den Osten der Ukraine erobert, und sie werden sich damit nicht begnügen.
In Interviews mit westlichen Journalisten gibt Putin – mit treuherzigem Dackelblick – je nach Lage den Unschuldigen oder die gekränkte Leberwurst, mal droht er, mal stellt er sich dumm, aber immer lügt er, daß sich die Balken biegen. Er sei ja gar nicht Partei, sagt er allen Ernstes, man solle doch bitte mit den Separatisten verhandeln.
Und die Europäer lassen sich von ihm brav an der Nase herumführen, die Putinversteher vorneweg. Daß die Linke, die ihre Denkblockaden aus der alten DDR in die Gegenwart herübergerettet hat, Putin anhimmelt wie früher die Generalsekretäre der glorreichen Sowjetunion, kann man noch verstehen. Aber der Auftritt etwa eines Matthias Platzeck (SPD) vorgestern bei Maybrit Illner war – gerade angesichts der fortdauernden Aggression Putins gegen sein Nachbarland – kaum zu ertragen. Soviel Milde, soviel Verständnis, soviele Skrupel und Gewissensbisse („der Westen hat viel falsch gemacht“)! Dumm nur, daß diese Nachdenklichkeit von Rußland weder honoriert noch erwidert wird: Rußland kennt nämlich keine Skrupel, es hat keine Gewissensbisse, es grübelt schon gar nicht über eigene Fehler nach. Die Asymmetrie im Umgang mit dem eigenen Gewissen zwischen Rußland und dem Westen ist beängstigend.
Merkel und von der Leyen schwören fast bis zur Peinlichkeit, daß der Westen unter keinen Umständen Waffen einsetzen wird. Das ist ein beruhigendes Signal – für Putin. Wenn ihm vor der ganzen Welt feierlich garantiert wird, daß er keinen bewaffneten Widerstand zu erwarten hat, dann kann er seine Aggression getrost fortsetzen. Wer soll ihn da noch aufhalten?
Die Grenzen in Europa seien unverrückbar, hat Merkel auf der Sicherheitskonferenz in München gesagt. Aber Putin hat uns allen doch gezeigt, daß sie verrückbar sind, und zwar ganz einfach – indem man sie mit Waffengewalt verrückt!
Die armen Ukrainer kann man nur bedauern: sie waren mutiger als die meisten Völker, sie haben sich dem korrupten Janukowitsch entgegengestellt, und sie haben darauf vertraut, daß sie der Westen nicht im Stich läßt. Jetzt geht es ihnen wie den Tschechen 1938: denen wurde erst mit westlicher Hilfe das Sudetenland abgepreßt, am Ende wurde auch die Rest-Tschechei sang- und klanglos heim ins Reich geführt.
John F. Kennedy hat während der Kubakrise 1962 entschlossen gehandelt und dadurch den Weltfrieden gerettet. Ich mag mir nicht ausmalen, was damals geschehen wäre, wenn an seiner Stelle ein Politiker vom Schlage Merkels gestanden hätte.