Noldes Batzen in der Brandung – oder: Wir wollen sein ein einig Volk von Jägern

Von Nazi-Jägern natürlich! Es gibt bei vielen Menschen bis heute weiße Flecken (oder besser: braune) in ihrer Biographie. Das muß sich ändern. Wer noch 1945 als jugendlicher Flakhelfer eingezogen wurde und dummerweise überlebt hat, muß sich öffentlich vor den Nachgeborenen rechtfertigen. Da sind die Nachgeborenen unbarmherzig. Wer sich aus Scham darüber, daß er (wie Millionen andere Deutsche) den braunen Rattenfängern auf den Leim gegangen ist, nicht sehr ausführlich über „diese dunkle Zeit“ in seinem Leben geäußert hat, muß damit rechnen, daß man ihm seine Vergangenheit vorhält. Viele Medien beteiligen sich an dieser Jagd – und leider auch hin und wieder die (von mir sehr geschätzte) F.A.Z.

Kürzlich las man im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen einen langen Artikel von Julia Voss über die braune Vergangenheit des Malers Emil Nolde (hier nachzulesen). Sie wirft ihm vor, daß er sich nach dem Krieg „als Widerständler stilisiert“ habe. Das mag ja, im Interesse einer biographischen und historischer Aufarbeitung, durchaus legitim sein. Aber Frau Voss hat mehr im Sinn: mit dem „Sympathisanten“ der Nazis will sie zugleich den Maler selbst beschädigen.

„Was bleibt nun von seinem Werk?“, fragt sie – als sei das Werk eines Künstlers von seiner politischen oder moralischen Einstellung abhängig. Wenn es danach ginge, dürften wir keinen Film von Hitchcock mehr anschauen, und wir dürften keinen Roman von Thomas Mann mehr lesen. Sollen wir nur noch die Romane moralisch einwandfreier Autoren lesen? Sollen wir nur noch Bilder von Malern betrachten, die sich im Leben politisch und privat korrekt verhalten haben? Was ist das für eine spießbürgerliche Einstellung, die da gerade in der jüngeren Generation unserer Journalisten um sich greift?

Das künstlerische Werk, liebe Zeitungsschreiber, ist, sobald es der Öffentlickeit übergeben ist, von seinem Autor getrennt – es ist abgenabelt, wie ein Baby. Der Autor bleibt zwar der Autor, der Maler bleibt der Maler, aber das Kunstwerk führt von jetzt an ein Eigenleben. Wer es nur über den Autor definiert, unterliegt einer Täuschung (fallacy nennt man das in der angelsächsischen Literaturtheorie).

Was haben Noldes politische Irrtümer, die er ja mit nicht gerade wenigen Deutschen geteilt hat, mit der Qualität seiner Bilder zu tun? Und genau da wird der Artikel von Julia Voss ausgesprochen ärgerlich. Sie mag Noldes politische Haltung nicht (ich übrigens auch nicht!), aber sie überträgt diese Abneigung – reflektiert oder unreflektiert – auf die Bilder selbst.

Der „Mythos“, sagt sie, habe die Bilder bis heute (bis zu ihrem Artikel?) vor Kritik geschützt. Sogar im Kanzleramt werde der „Nolde-Kult“ betrieben. Damit will sie aufräumen. Sie spricht vom „wuchtigen Klatschmohn“ und von „fischsuppentrüber Strandlandschaft“, ein anderes Bild sei „getunkt in deutsches Gemütlichkeitsbraun“. Viele der Gemälde könne man „nur mit viel Witz gut finden“. Immer wieder, sagt sie, „verklumpen“ bei Nolde die Farben, Motive „wirken bemüht“ und werden „mehrfach übermalt“.

In „Meerweib“ von 1922 ist die Badende ein Batzen in der Brandung. In „Kleine Sonnenblumen“ von 1946 starrt den Betrachter aus blauen Kreisen ein blondes Wesen mit abgeknicktem Kopf an. Um solche Bilder „gut“ zu nennen, müsste man viel Humor aufbringen.

Wie kommen solche Urteile zustande? Hier wird ganz einfach das negative Urteil über die politische Moral des Künstlers auf die Qualität seiner Bilder übertragen.

Da würde ich, ganz im Stil unserer Kanzlerin, sagen: das geht gar nicht!

Dieser Beitrag wurde unter Sonstiges, Sprache und Literatur veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert