Bis vor kurzem hat kaum jemand gewußt, was Ratingagenturen sind. Jetzt kann man (nicht nur im Wirtschaftsteil) fast täglich von ihnen lesen. Sie heißen Fitch, Moody’s oder Standard & Poor’s – und entscheiden neuerdings über das Schicksal ganzer Staaten. Es sind kleine Unternehmen, die selbst finanzielle Interessen haben, aber die Weltgemeinschaft läßt es zu, daß sie mit ihren kryptischen Bewertungen ganze Länder ins Unglück stürzen.
Über den Stellenwert der Moral in der Wirtschaft muß man seit der letzten großen Banken- und Wirtschaftskrise eigentlich nicht mehr viel sagen. Aber daß diese Ratingagenturen auch heute noch mit einem Federstrich Länder wie Portugal, Griechenland oder Irland ruinieren können, spricht nicht für die Vernunftbegabtheit unserer europäischen Regierungen.
Nehmen wir Griechenland. Hier steht die Wiege der europäischen Kultur, hier ist das kritische Denken entstanden, das freie Philosophieren, hier haben die ersten Experimente mit echter Demokratie stattgefunden. Diesem kleinen Land haben wir fast alles zu verdanken, worauf wir in Europa stolz sind. Auch Paulus hat das Christentum erst nach Philippi, Korinth und Athen gebracht, bevor er nach Rom aufgebrochen ist. Der ganze Kanon der europäischen Leitkultur, über den soviel geredet wird, gründet auf griechischem Denken.
Und jetzt wollen wir diesen fragwürdigen und anonymen, durch keine demokratischen Wahlen legitimierten Agenturen mit ihrem ökonomischen Tunnelblick (um es einmal ganz vorsichtig auszudrücken!) erlauben, den Griechen den Garaus zu machen, sie immer wieder zu demütigen und sie endlich auf eine Stufe „unterhalb des Ramsch-Niveaus“ zu stellen, obwohl die griechische Regierung alle Forderungen der EU akzeptiert und in der Praxis umsetzt?
Wir sollten uns die freche Anmaßung dieser Agenturen nicht länger bieten lassen.
Und die Griechen sollten weiter (und jetzt erst recht!) stolz sein auf ihr Land, ihre Kultur, ihre Geschichte und auf die Schönheit ihrer Berge und Strände. Nicht sie sind auf einem „Ramsch-Niveau“, sondern diese Agenturen – und auch die europäischen Regierungen, die ihnen blind vertrauen.