In der Politik geht es selten fromm und moralisch zu, auch bei uns nicht. Aber bei uns sind verfassungsmäßige Korrektive eingebaut: die Gewaltenteilung, eine unabhängige Gerichtsbarkeit und die freie Presse. Und eine wachsame Öffentlichkeit!
Die Demokratie ist immer bedroht, aber solange diese Korrektive funktionieren, ist die Freiheit nicht in Gefahr.
Der ägyptische Präsident Mursi, der niemals vorhatte, der „Präsident aller Ägypter“ zu sein, ist nur das ausführende Organ der Muslimbrüder. Diese islamistische Bruderschaft, die ihren bescheidenen Wahlsieg nur den bildungsfernen Schichten (und natürlich auch der bunten Uneinigkeit der demokratischen und liberalen Kräfte) verdankt, hat mit seinen Putschdekreten den Weg zu einer totalitären Herrschaft der Islamisten ebnen wollen, mit allem, was dazugehört: Scharia, Aushebelung des Rechtsstaats, Beseitigung der freien Presse. Die Dekrete selbst, die soviel Aufsehen erregt haben, waren aber nur ein Mittel zum Zweck: sie sollten verhindern, daß irgendeine unabhängige Instanz die von diesen feinen Brüdern ohne breite Diskussion durchgepeitschte „Verfassung“ am Ende noch verhindern kann. Deshalb konnte Mursi leichten Herzens die Dekrete zurücknehmen. Was für ihn und seine Freunde zählt, ist allein diese Verfassung, die ihnen – so stellen sie es sich jedenfalls vor – die Lizenz zum Rückbau des modernen Ägyptens in einen dumpfen, von Korangelehrten beherrschten Gottesstaat gibt. Deshalb konnte es ihnen mit der „Verfassung“ gar nicht schnell genug gehen, deshalb sie keine offene Diskussion zugelassen.
Nicht die Dekrete waren der eigentliche Staatsstreich, sondern die Verfassung selbst. Schon daß man ihr den Namen „Verfassung“ gibt, ist eine Verhöhnung der Demokratie.
Ich bin immer gegen einen Boykott gewesen, und es war in meinen Augen falsch, daß sich die demokratischen Kräfte aus den Diskussionen über die Verfassung zurückgezogen haben, statt diese Verhandlungen zu einer Tribüne für die Demokratie zu machen. Aber mit der Abstimmung über die Verfassung, die Mursi wie ein selbstherrlicher Pharao auf den 15. Dezember gelegt hat, verhält es sich anders. Wer an dieser Wahl teilnimmt, egal ob er mit Ja oder Nein stimmt, gibt den Muslimbrüdern auch noch den Anschein der Legalität.
Viele haben das verstanden, und wenn man (zum Beispiel in den Straßeninterviews) sieht, mit welcher Klugheit viele einfache Menschen die islamistischen Machenschaften durchschauen, kann man nur staunen.
Und natürlich muß man ihnen Glück wünschen in ihren Kampf gegen die verschlagenen Brüder – den Frauen vor allem, denn sie wären (zusammen mit den kritischen Journalisten) die ersten Opfer des Gottesstaats.