Unumkehrbar?

Politik lebt von der permanenten Diskussion. Es muß immer Alternativen geben. Wer keinen Plan B hat, wäre besser in die Theologie gegangen und nicht in die Politik.

Aber diese ganz simple Tatsache wird heute nicht mehr anerkannt, im System Merkel hat man damit aufgeräumt.

Plötzlich sind alle Entscheidungen – gerade die wichtigen, über die man eigentlich am gründlichsten diskutieren müßte! – „unumkehrbar“. Die Energiewende, die ständige Aufblähung der EU, die Einführung und jetzt die „Rettung“ des Euro – alles ist „unumkehrbar“ und „alternativlos“. Selbst der Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, kein Freund unserer Kanzlerin, nennt den Euro – unumkehrbar.

Ist das alles wirklich so? Natürlich nicht. Wenn Frau Merkel auf ihre eigene Lebensgeschichte zurückblickt, müßte sie einsehen, daß nichts, aber auch gar nichts unumkehrbar ist. Selbst der Sozialismus, der einmal waffenstarrend die halbe Welt beherrscht hat, ist in kurzer Zeit sang- und klanglos untergegangen. Er war eben, wie alles, „umkehrbar“. Muß man wirklich noch andere Beispiele aus den letzten hundert Jahren anführen? Die Geschichte ist voll davon.

Und die dahingeschluderte, nie wirklich gründlich diskutierte „Energiewende“ soll alternativlos sein? Und der Euro, dessen Risiken als Gemeinschaftswährung offenbar nie durchdacht wurden, ist auf einmal unumkehrbar?

Auch das gehört zum System Merkel, daß man es sich so leicht macht. Die Kanzlerin trifft eine Entscheidung, kennzeichnet sie als unumkehrbar – und das wars dann. Sie fürchtet sich vor jeder echten Diskussion, und je wichtiger eine Frage ist, desto weniger läßt sie diskutieren. Das beginnt in den Gremien der CDU und endet in der Breite der Gesellschaft. Wer das Merkelsche Diktat unterlaufen und einen offenen Diskurs beginnen will, trifft auf Verachtung und persönliche Verleumdung. So ist es Sarrazin mit seinem Buch Europa braucht den Euro nicht ergangen oder Gertrud Höhler mit ihrem Buch Die Patin, und auch Josef Schlarmann, der das Kanzleramt mit dem Zarenhof verglichen hat, hat keine Chance gegen das Kartell der Macht. Was sachlich begründet ist (und deshalb gefälligst auch sachlich widerlegt werden muß!), wird fast ausschließlich ad personam abgetan: Sarrazin ist sowieso eine Unperson, da muß man auf nichts mehr eingehen, „die Höhler“ will sich natürlich nur aus privaten Gründen an der Kanzlerin rächen, und Schlarmann war schon immer ein „Querulant“.

Es hat eine gewisse innere Logik: wo alles unumkehrbar ist, muß der Kritiker zum Narren werden. Wer an dieser dummen Politik, die alles ohne jede Diskussion zementieren will, auch nur kratzt, wird persönlich herabgesetzt – nein, natürlich nicht von der Kanzlerin, dafür hat man ja einen Kauder oder einen Pofalla.

Jetzt könnte man natürlich sagen: soll die CDU doch sehen, wo sie bleibt, wenn sie das mit sich machen läßt. Aber das wäre zu kurz gedacht. Einmal ist die CDU immer noch die stärkste Partei im Land, und wenn die Meinungsvielfalt in einer solchen Volkspartei stärker schrumpft als selbst unter Kohl, dann sollte das ein Alarmzeichen sein. Zum anderen hat diese omertá in der CDU Auswirkungen auf die ganze Gesellschaft.

Wenn alles, was die Kanzlerin dekretiert, unumkehrbar ist, dann erübrigt sich jede Diskussion. Wenn alles alternativlos ist, wie soll dann ein großer gesellschaftlicher Diskurs zustandekommen? Und wie nötig hätten wir ihn!

Die Energiewende ist ein geradezu desaströses Beispiel für dieses Abwürgen jeder Diskussion: alle Parteien im Bundestag stimmen ihr zu, die gegenüber der Windkraft kritische Opposition – immerhin etwa ein Fünftel der Bevölkerung, mit wachsender Tendenz – hat keinen einzigen Abgeordneten, erst recht keine Partei, von der sie sich vertreten fühlen kann. Wer trotzdem dagegen auftritt, den trifft die volle Wucht des Gesetzes: Bürger- und Widerspruchsrechte werden drastisch beschnitten, Landes- und Gemeindeparlamente versuchen, den Widerstand gegen die Windkraftanlagen im Keim zu ersticken. Eine Grundsatzdiskussion findet nicht mehr statt. Die Energiewende ist eben – wie alles im System Merkel – alternativlos.

Ist sie das wirklich? Natürlich nicht. Wir haben Kohlekraftwerke mit den besten Filtersystemen der Welt, und auch die Atomkraftwerke, die hier weder durch Erdbeben noch durch einen Tsunami gefährdet sind, könnten noch ein paar Jahrzehnte in Betrieb bleiben, bis man eine wirklich effektive und naturverträgliche Energie gefunden hat.

The answer, my friend, is blowing in the wind, hat Bob Dylan einmal gesungen. Aber die Windenergie wird niemals das energetische Rückgrat einer Industriegesellschaft sein können, da bin ich sicher. Viele glauben es, aber sie werden irgendwann eines besseren belehrt werden.

Aber selbst darum geht es eigentlich gar nicht. Es geht darum, daß im System Merkel mit Begriffen wie „alternativlos“ und „unumkehrbar“ jede Diskussion über die großen Fragen unserer Gesellschaft abgewürgt wird.

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