Es ist immer ein kleines Ärgernis, wenn man aus einem Gottesdienst kommt und nicht ganz zufrieden ist. Man kann einem Pfarrer nicht vorwerfen, daß ihm das Charisma fehlt. Charisma ist angeboren, man hat es, oder man hat es nicht. Aber wenn man es nicht hat, dann sollte man sich, wenn man Pfarrer ist, eigentlich besonders viel Mühe geben. Was man aber im Theologiestudium über das Predigen vor der Gemeinde gelernt hat, scheint eher einen falschen Weg zu weisen.
Wir waren gestern abend im Silvestergottesdienst, und der erste Satz des Pfarrers an die Gemeinde lautete: „Haben Sie ein Navi?“ Selbst mit wenig Gottesdiensterfahrung konnte man sich schon da fast die gesamte Predigt ausmalen. Ein paar humorvolle Bemerkungen über das Navigationsgerät, an das sich dann sehr schnell der erwartete (und breit ausgewalzte) Vergleich anschloß: was das Navi für die Autofahrt, das ist der Glaube für unser Leben.
Es ist (auch) dieses Biedere, Erwartbare, immer Gleiche, das die Kirchen leerer macht, als sie sein müßten. Verstockte Säkularität gibt es auch, aber viel weiter verbreitet ist eine tiefe Unzufriedenheit mit dieser Art des Predigens im evangelischen Gottesdienst. Die Botschaft selbst ist doch weiß Gott nicht hausbacken – aber die Predigt ist es fast immer. So klaffen die Botschaft und die Art und Weise ihrer Verkündigung unerträglich weit auseinander.
Niemand muß so wortmächtig sein wie Luther, aber ein paar Funken müssen schon sprühen. Warum soll man sonst wiederkommen?
So werden die meisten Gottesdienste nur durch die schönen alten Lieder erträglich. Sie sind wirklich ein Pfund, mit dem die evangelische Kirche wuchern kann – wenn sie denn gesungen werden! Neuere Kirchenlieder wirken dagegen oft ein wenig kraftlos und schlagerhaft. So war es gestern auch mit Bonhoeffers „Von guten Mächten wunderbar geborgen“, das immer noch auf eine gelungene Vertonung wartet. Einen so wunderbaren Text darf man einfach nicht durch eine dünne Melodie beleidigen!