Er füllt heute fast die ganze erste Feuilletonseite der F.A.Z. und trägt den Titel „Jetzt war es so weit“. Geschrieben hat ihn ein Jurist, nämlich Dieter Grimm, der von 1987 bis 1999 selbst Richter am Bundesverfassungsgericht war. Und anders, als man es von Juristen gewohnt ist, schreibt er in einer klaren, angenehm schnörkellosen Sprache.
Natürlich geht es um das aufsehenerregende BVG-Urteil zu den Anleihekäufen der Europäischen Zentralbank, mit dem sich unser oberstes Verfassunggericht zum ersten Mal gegen die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs gewehrt hat.
Die deutsche Politik hat sich in einer ungewohnt heftigen Urteilsschelte fast komplett auf die Seite des EuGH geschlagen und das eigene Verfassungsgericht mit Kritik überhäuft – so, als habe jetzt Europas letztes Stündlein geschlagen. Dieter Grimm setzt sich dagegen in wohltuender Sachlichkeit mit der Karlsruher Urteilsbegründung auseinander. Vieles versteht man besser, wenn man den Artikel gelesen hat, etwa das Problem der Subsidiarität. Die EU, schreibt Grimm,
bleibt noch auf lange Sicht auf die Legitimitätszufuhr aus den Mitgliedsstaaten angewiesen. Sie kann die staatlichen Legitimitätsressourcen nicht einfach durch weitere Ausdehnung ihrer Befugnisse auf sich umlenken. Im Gegenteil müsste sie im eigenen Interesse auf eine starke mitgliedstaatliche Demokratie bedacht sein, statt diese immer weiter auszuzehren. Das 1992 in die Verträge eingefügte Subsidiaritätsprinzip, das die Auszehrung verhindern sollte, ist ohne jede Wirkung geblieben.
Und genau diese Subsidiarität fehlt in Europa an allen Ecken und Enden. Sie bedeutet nämlich, daß die höhere Ebene in einer Hierarchie nur solche Aufgaben wahrnehmen darf, die auf der unteren Ebene nicht zu lösen sind. Würde man dieses Prinzip überall in Europa anwenden, wäre ein großer Teil der Kritik an der EU gegenstandslos.
Also, den Gastbeitrag von Dieter Grimm unbedingt lesen!