„An keinem Umstande“, schreibt Johann Gottfried Herder in seinen Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit (1784-91), „läßt sich der eigentliche Charakter eines Mannes oder einer Nation so unterscheidend erkennen als an der Behandlung des Weibes“
Und er fährt fort:
Die meisten Völker, denen ihre Lebensart schwer wird, haben das weibliche Geschlecht zu Haustieren erniedrigt und ihm alle Beschwerlichkeiten der Hütte aufgetragen; durch eine gefahrvolle, kühne, männliche Unternehmung glaubte der Mann dem Joch aller kleinen Geschäfte entnommen zu sein und überließ diese den Weibern. Daher die große Subalternität dieses Geschlechts unter den meisten Wilden von allerlei Erdstrichen; daher auch die Geringschätzung der Söhne gegen ihre Mütter, sobald sie in die männlichen Jahre treten.
Kommt einem das nicht, gut zwei Jahrhunderte später, bekannt vor? Aber lesen wir weiter:
Von Grönland bis zum Lande der Hottentotten herrscht diese Geringschätzung der Weiber bei allen unkultivierten Nationen, ob sie sich gleich in jedem Volk und Weltteil anders gestaltet. In der Sklaverei sogar
ist das Negerweib weit unter dem Neger, und der armseligste Karibe dünkt sich in seinem Hause ein König.
Aber nicht nur die Schwachheit des Weibes scheint es dem Mann untergeordnet zu haben, sondern an den meisten Orten trug auch die größere Reizbarkeit desselben, seine List, ja überhaupt die feinere Beweglichkeit seiner Seele dazu noch ein mehreres bei. Die
Morgenländer z. B. begreifen es nicht, wie in Europa, dem Reich der Weiber, ihre ungemessene Freiheit ohne die äußerste Gefahr des Mannes stattfinden oder bestehen könne; bei ihnen, meinen sie, wäre alles voll
Unruh, wenn man diese leicht beweglichen, listigen, alles unternehmenden Geschöpfe nicht einschränkte. Von manchen tyrannischen Gebräuchen gibt man keine Ursache an, als daß durch dies oder jenes Betragen die Weiber sich ehemals selbst ein so hartes Gesetz verdient und die Männer ihrer Sicherheit und Ruhe wegen dazu gezwungen hätten.
Solcherlei männliche Argumentation ist auch heute noch in manchen „Kulturkreisen“ zu hören.
Bei den Germanen freilich war von Anfang an alles anders:
Der alte Deutsche, auch in seinen rauhen Wäldern, erkannte das Edle im Weibe und genoß an ihm die schönsten Eigenschaften seines Geschlechts, Klugheit, Treue, Mut und Keuschheit; allerdings aber kam ihm auch sein Klima, sein genetischer Charakter, seine ganze Lebensweise hierin zu Hülfe. Er und sein Weib wuchsen, wie die Eichen, langsam, unverwüstlich und kräftig; die Reize der Verführung fehlten seinem Lande; Triebe zu Tugenden dagegen gab beiden Geschlechtern sowohl die gewohnte Verfassung als die Not.
Dann kommt Herder auf die „Tugenden des Weibes“ zu sprechen – aber darüber berichte ich ein andermal.