Als sei ein böser Geist in sie gefahren – so verhalten sich immer mehr Politiker: statt ihre Völker zu versöhnen und nach pragmatischen Lösungen zu suchen, spalten sie ihr Land und hetzen die eine Hälfte der Bevölkerung gegen die andere auf. Ein beliebtes Instrument zu diesem Zweck sind neuerdings Referenden. Da kann man hinterher, wenn der Schaden angerichtet ist, seine Hände in Unschuld waschen: das Volk hat es ja so gewollt!
Auch in Katalonien ist gerade ein Referendum im Gang. Hier haben die Parteien, die für eine (verfassungsrechtlich gar nicht mögliche!) Loslösung von Spanien eintreten, bei den Wahlen 47,8 % der Stimmen erhalten, aber daß die Mehrheit nicht für sie gestimmt hat, interessiert sie nicht. Sie wollen ihre staatliche Unabhängigkeit um jeden Preis – und der wird hoch sein. Aber wichtig für Provokateure wie Carles Puigdemont sind die Bilder und Meldungen, die heute um die Welt gehen werden: wie spanische Polizisten die „friedlichen Katalanen“ an der Stimmabgabe hindern wollen. Daß in Wirklichkeit Staat und Polizei gar nicht anders können, weil sie verpflichtet sind, die Verfassung zu schützen, daß die Organisatoren ganz bewußt einen Verfassungsbruch begehen, das tritt angesichts des propagandistischen Feldzugs in den Hintergrund. Das läuft, wie in allen ähnlichen Fällen, genauso ab, wie es die 68er damals so vorbildlich formuliert haben:
Legal? Illegal? Scheißegal!
Auch Boris Johnson gehört zu diesem modernen Typ eines verantwortungslosen Politikers. Ein paar platte, eingängige Sprüche, eine angeblich charismatische Persönlichkeit – und schon ist es passiert. Großbritannien wird noch lange darunter leiden, daß es einem so windigen Politiker gefolgt ist.
Die Zahl dieser demagogischen Politiker, die Haß und Zwietracht im eigenen Land säen, wächst und wächst: Trump ist ein besonders schlimmes Beispiel, und Erdogan macht (Referendum inklusive) nichts anderes.
Wie kommt es auf einmal zu einer solchen Häufung von Demagogen überall auf der Welt? Ich weiß es nicht. Irgendwie liegt das in der Luft, erklären kann man es nicht – allenfalls mit einem psychologisch-philosophischen „so ist der Mensch nun einmal“, das freilich auch nicht viel Erhellung bringt.
Die Literatur bietet, wenn schon keine erschöpfende Erklärung, so doch farbige Beispiele genug, und eines davon, auf das ich in diesem Zusammenhang immer gern hinweise, sind die Reden von Brutus und Mark Anton in Shakespeares Julius Caesar. Nach der Ermordung des Tyrannen erklärt Brutus – durch und durch ein Römer – dem Volk sachlich und nüchtern seine Beweggründe. Die Menschen scheinen es zu verstehen. Aber dann kommt Mark Anton. Er redet demagogisch und emotional, und jeder seiner Lobsprüche auf Brutus („and Brutus is an honorouble man“) ist vergiftet. Immer boshafter wird sein gehässiges Lob im Lauf der Rede.
Und jetzt frage ich meine Leser: wer wird am Ende die Römer für sich gewinnen? Man weiß es, auch wenn man das Stück nie gesehen hat.