Jeder Grundschüler kann schreiben, wie er will – oder: ein Verbrechen an der Kultur wird besichtigt

Mißbrauch von Kindern ist immer noch ein großes Thema. Überall liest und hört man davon: in den Zeitungen, vor Gericht und in jedem dritten „Tatort“.

Es gibt aber auch Spielarten des Mißbrauchs, die kaum jemand kennt. Über eine davon soll hier berichtet werden. Es ist ein Mißbrauch, der vom Staat nicht nur geduldet, sondern seit Jahren sogar kräftig befördert wird. Niemand bringt die Täter vor Gericht, im Gegenteil: sie erfreuen sich in den Bundesländern und in der didaktischen Wissenschaft hohen Ansehens – nicht trotz, sondern wegen ihres Mißbrauchs unschuldiger Kinder.

Die Täter: das sind Vertreter der Grundschuldidaktik, die Schulbürokratie, Lehrer – und Politiker. Vor allem „fortschrittliche“ Politiker – von sozialdemokratisch über grün bis links. Besonders SPD-Kultusminister tun sich beim Mißbrauch hervor, aber selbst im konservativen Bayern (!) ist er inzwischen an der Tagesordnung. Man könnte sagen: es gibt in unserem Land einen flächendeckenden Mißbrauch von Kindern, der von keinem Richter bestraft wird. Auch die Eltern, die ihre Kinder doch vor Mißbrauch schützen müßten, schweigen fast immer.

Worum geht es?

Es geht um den Mißbrauch unschuldiger Kinder durch eine Rechtschreibdidaktik, die ihnen ihre Zukunft nimmt.  Gerade in den ersten drei Grundschuljahren, wenn die Kinder besonders lernbegierig und aufnahmefähig sind, dürfen sie nicht lernen, wie man Wörter richtig schreibt. Das hat es auf der Welt seit den Babyloniern und Ägyptern noch nicht gegeben: eine Kulturnation verbietet es ihren Lehrern, den Kindern Rechtschreibung beizubringen. Die Lehrer dürfen falsch Geschriebenes nicht mehr korrigieren. Drei lange Jahre lang schreibt jedes Grundschulkind (nach dem Motto „Schreibe, wie du sprichst!“) genau so, wie es will. Da tschilpt dann nicht der Spatz, sondern der Schpatz, das Schwein grundst, und niemand korrigiert es. Und auch an der Tafel steht es so! Wenn man weiß, wie wichtig dem Menschen die visuelle Erfassung (auch von Wörtern!) ist, kann man sich ausmalen, was für einen Schaden dieser Unfug anrichtet.

Ich habe, wie sicher viele, gedacht, daß diese Barbarei auf die fortschrittlich regierten Stadtstaaten wie Berlin, Bremen und Hamburg beschränkt bleibt, die man inzwischen getrost zu den bildungsfernen Bundesländern zählen darf. Aber weit gefehlt! Wie die von mir sehr geschätzte F.A.Z.-Redakteurin Heike Schmoll berichtet (Sie können den Artikel hier nachlesen, es lohnt sich!), ist dieser Unsinn inzwischen praktisch in ganz Deutschland (einschließlich Bayern!) verbindlich. In den ersten drei Jahren der Grundschule darf jedes Kind – im Heft und an der Tafel – die Wörter schreiben, wie es will.

Hauptsache, das Kind schreibt überhaupt, scheinen diese Meister-Didaktiker zu denken, die man wohl selbst als eher bildungsfern einstufen möchte.

Drei Jahre lang also jeden Tag, jede Woche, jedes Schuljahr: völlig falsch geschriebene Wörter an der Tafel – und dann, im vierten Jahr, also kurz vor dem Übergang auf die weiterbildenden Schulen, will man den Kindern auf die Schnelle den Unterschied zwischen richtig und falsch beibringen. Das kann nicht funktionieren – und es funktioniert auch nicht.

Dann hagelt es, wie Frau Schmoll schreibt, bei den Schülern, die ja bis dahin von richtig oder falsch nie etwas gehört haben, plötzlich schlechte Noten. Die Wirklichkeit holt die von der Wolkenkuckucksdidaktik seligen Kinder jetzt endgültig ein. Besonders infam: den Kindern, die dank dieser abstrusen Didaktik im vierten Grundschuljahr versagen, wird dann eine Lese-Rechtschreibschwäche angedichtet, obwohl es der fortschrittliche Unterricht war, der zu ihrem Versagen geführt hat.

Am Ende der Grundschulzeit würden die Kinder in Berlin „mit Phantasienoten an das Gymnasium entlassen“, wo ihr Scheitern schon vorprogrammiert ist. Es sind übrigens durchweg ältere Lehrer vor der Pensionierung, die sich trauen, über diese Mißstände überhaupt zu reden.

Was die Kinder gut könnten, sei das Präsentieren, sagt eine ältere Lehrerin; die Rechtschreibleistung sei „katastrophal“. Eine Art Excel-Pädagogik hält überall Einzug, und ich erinnere noch einmal an das wunderbar aufklärerische Buch „Digitale Demenz“ von Manfred Spitzer.

Weil die F.A.Z.-Redakteure auch nach dieser Problematik gefragt haben, hat man ihnen übrigens an einer Berliner Schule sogar Hausverbot erteilt. Das nennt man schlechtes Gewissen!

Das alles ist inzwischen unleugbar und nachprüfbar. In Berlin, das eine sechsjährige Grundschule hat, verfehlen 75% der Drittkläßler den Mindeststandard bei der Lesekompetenz – „von der Rechtschreibung gar nicht zu reden“. Das staatliche Schulsystem bringt offenbar immer mehr Analphabeten hervor – Kinder, die nur noch holprig lesen und schon gar nicht rechtschreiben können. Man mag das als wenig dramatisch einstufen – aber was es (kulturell und auch wirtschaftlich!) bedeutet, wenn mehrere Generationen von Schülern daran gehindert werden, die einfachsten Kulturtechniken zu erlernen, das mag man sich gar nicht ausmalen.

Das ist Kindesmißbrauch – und es ist ein Verbrechen an unserer Kultur.

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