Der Putin von Sotschi war nicht der wahre Putin.
Sotschi war nur eine große Show. Der wahre Putin ist gerade dabei, in einer gut vorbereiteten Invasion die Halbinsel Krim, die ein Teil der Ukraine ist, gewaltsam heim ins russische Reich zu holen. Der Mann, der überall auf der Welt am lautesten „Nichteinmischung“ verlangt, hat nicht die geringste Hemmung, mit Kampftruppen in ein souveränes, unabhängiges Nachbarland einzudringen.
Dabei ist er feige genug, seine Invasionstruppen in neutrale Uniformen zu stecken, damit sie – jedenfalls vorerst – nicht sicher als Russen identifiziert werden können. Deshalb dürfen sie auch nicht reden – eine CNN-Reporterin, die furchtlos auf die schwerbewaffnet patroullierenden Soldaten zuging und sie nach ihrer Herkunft fragte („Where are you from? From Russia?“), erhielt natürlich keine Antwort.
Auch die russischen Fahrzeuge (mit abmontierten Kennzeichen) und die Hubschrauber lassen ihre Herkunft nicht erkennen. Den Luftraum über der Krim hat Putin sperren lassen, damit niemand das Eindringen seiner Flugzeuge und Helikopter verhindern kann. Ist das ein Anflug von Scham über den Bruch des Völkerrechts? Nein, wirklich nicht, denn dieser Präsident, der so gern er von der ganzen Welt geliebt werden möchte, ist in rebus politicis völlig schamlos. Er hat beschlossen, nicht (wie einst Breschnew im Prag von 1968) mit einem großen Militärschlag zu intervenieren, sondern scheibchenweise. Während seine Truppen schon auf ukrainischem Boden stehen, beschwört er in persönlichen Telefonanrufen unsere Kanzlerin und andere europäische Regierungschefs, es komme jetzt darauf an, jede Eskalation zu vermeiden.
Soviel dreistes Lügen, soviel Scheinheiligkeit hat man in den internationalen Beziehungen lange nicht mehr erlebt.
Aber das alles hat er ja schon einmal gemacht – 2008 in dem kleinen Georgien, das der russischen Übermacht hilflos ausgeliefert war. Die Welt hat ihn dafür nicht bestraft.
Das war ein Fehler.
Nicht umsonst zieht man jetzt Parallelen zu Hitlers Überfall auf das Sudetenland. Auch da war der Vorwand die „Befreiung“, der „Schutz“ der eigenen Landsleute. Und das schändliche Münchner Abkommen hat diese Aggression auch noch vertraglich abgesichert.
Die Folgen sind bekannt.
Den „Hilferuf“ der frisch eingesetzten „Regierung“ der Krim kann man jetzt (z.B. hier) schwarz auf weiß nachlesen. Ihr Chef, Sergej Aksjonow, hat nicht etwa Rußland, sondern ganz persönlich den Genossen Putin um Hilfe gebeten:
Aus Verantwortung für das Leben und die Sicherheit der Bürger bitte ich den russischen Präsidenten Wladimir Putin um Hilfe bei der Sicherung von Frieden und Ruhe auf dem Gebiet der Krim.
Die gleichgeschalteten russischen Medien haben diesen „Hilferuf“ natürlich umgehend veröffentlicht. Wer die russische Intervention 1968 in Prag noch in Erinnerung hat, erlebt in diesen Tagen ein déja vu-Erlebnis nach dem anderen. Die Invasion des Nachbarlandes erfolgt übrigens, so sagt es allen Ernstes Moskaus UN-Botschafter Witali Tschurkin,
im Rahmen eines Abkommens mit Kiew über die Stationierung der russischen Schwarzmeerflotte auf der Krim.
Also eine völlige legale Invasion – darauf muß man erst einmal kommen.
Eines wollen wir deshalb – unabhängig vom Ausgang des Sache – schon einmal festhalten. Putin ist um keinen Deut besser als die alten sowjetischen „Generalsekretäre“. Er denkt wie sie, er handelt wie sie. Nur das kommunistische Mäntelchen hat er abgestreift. Für ihn gilt immer noch (oder wieder) die alte Breschnew-Doktrin: wer sich mit Rußland verbündet, hat nur noch eine eingeschränkte Souveränität.
Völkerrecht, Souveränität, Selbstbestimmung – das alles ist diesem Herrscher keinen Pfifferling wert. Die US-Regierung hat das erkannt und beginnt endlich damit, ihre Einstellung zu Rußland grundlegend zu überdenken.
Die Europäer aber, und das ist schlechte europäische Tradition, glauben immer noch an die Märchen, die Putin ihnen erzählt.